04.10. | Album der Woche : Joan As A Police Woman • Lemons, Limes & Orchids
PIAS · 20. September
Foto: Paola Kudacki
In Kreativität investieren
Die klassisch ausgebildete Violinistin Joan Wasser veröffentlicht als Joan As Police Woman eines der Soulalben des Jahres. Ihrem politischen Unmut begegnet sie dabei mit Sinnlichkeit.
Joan Wasser, warum hat es fast 20 Jahre gedauert, bis Ihre Stimme zum Zentrum eines Albums wurde?
Jedes Album, das ich aufnehme, ist eine Antwort auf das vorherige. Der Vorgänger mit Tony Allen entstand während der Pandemie. Das bedeutete, 16 Stunden am Tag Soundfiles zu editieren. Es war derart arbeitsintensiv, dass ich es dieses Mal bewusst einfach halten und live im Studio singen wollte. Und da hat sich dieses neue Level der Leichtigkeit aufgetan, bei dem ich mich so wohl mit meiner Stimme fühlte wie noch nie.
In »Long For Ruin« stellen Sie die ungleich schwere Frage: »Do we secretly long for ruin?« Tun wir das?
Es erscheint zumindest immer wieder so, als sei unsere Spezies kaputt. Unsere grundlegenden Instinkte haben sich nicht an das Niveau moderner, zwischenmenschlicher Interaktion angepasst. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß, das uns davor bewahren würde, die verrücktesten Menschen in Regierungsämter zu wählen. Auf der anderen Seite bin ich Optimistin und es ist nun mal schwer, Fortschritt innerhalb eines einzigen Menschenlebens zu beobachten, weil die Dinge so langsam vonstattengehen. Statistisch gesehen gibt es weniger Gewalt als jemals zuvor auf diesem Planeten. Es fühlt sich nur nicht so an, weil wir das Unglück jeden Tag hundertfach im Fernsehen sehen und die Gesellschaft davon besessen ist.
Also ist der Song auch eine Art Medienkritik?
In unseren Medien spiegelt sich definitiv die Faszination für Gewalt. Und das ist etwas, das ich nie verstehen werden, weil ich schon die gewaltverherrlichende Fiktion in Filmen nicht aushalte. Dafür bin ich zu soft. Aber damit geht es der Mehrheit offensichtlich ganz anders, daher die Frage: »Do we secretly long for ruin?«
Was kann die Kunst dagegen tun?
Sie kann das kritisch hinterfragen. Das ist allerdings kein Selbstläufer, sondern setzt die richtigen Rahmenbedingungen voraus. Die USA setzen den Großteil ihrer Ressourcen für Waffen ein. Stattdessen sollten öffentliche Gelder für Kreativität zur Verfügung stehen. Tatsächlich fließt aber seit Jahren immer weniger Geld in Schulen, gerade in die Bereiche Kunst und Musik. Als Achtjährige hatte ich an meiner Schule Zugang zu einer Geige. Man konnte für zehn Dollar im Jahr ein Instrument leihen. Dieses Programm existiert schon lange nicht mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob ich unter den heutigen Voraussetzungen Musikerin geworden wäre.
Joan As Police Woman
Lemons, Limes & Orchids
PIAS / 20. September
Mehr denn je getragen von ihrer Stimme, besticht das zehnte Album von Joan As Police Woman mit einer Leichtigkeit und Eleganz. Doch fernab der Schönfärberei wirft Joan Wasser auch die großen existenzialistischen Fragen auf, die ihren Soul- und Artpop beinahe auf philosophische Weise politisieren. Und so funktioniert das Album auf zweierlei Weise, für die Sinne und die Moral. Eines, das mal musikalisch exzellent unterhält und dann wieder inhaltlich an der Hirnrinde kratzt. Je nachdem, auf welchem Ohr man gerade hört.
Daniel Thomas