Musik

04.06. | Album der Woche

Wolf Alice • Blue Weekend

Caroline/Universal

Blaupause fürs Wochenende

Das Leben passiert am Wochenende, da sind sich Wolf Alice sicher. Sozialisierung, Begegnung und Entfremdung sind alles Teile ihres musikalischen „Blue Weekend“.

Dabei gehören Wolf Alice eigentlich zu einer Sorte Bands, die rar werden, weil sie weder dafür geeignet sind, als angenehmes Hintergrundrauschen zu fungieren, noch eignen sie sich als Vehikel für Ausdruckstanz oder Schlaumeierei hinter Hornbrillen. Für die geeichte Spotify-Hörerin und den geeichten Deezer-Abonnenten, die sich ihre Playlisten mit Suchbegriffen anhand von Adjektiven aus dem eigenen Stimmungsbarometer ausgeben lassen, sind sie gar eine Zumutung. Die dynamische Berg- und Talfahrt der Band, auf einer Geschwindigkeits-Skala zischen verschmuster Ballade und Up-Tempo-Punkrocker, verlangt vermeintlich immer wieder nach der Hand am Lautstärkeregler. Kurzum: Wolf Alice sind eine Band, die es heute gar nicht mehr geben dürfte, zumindest nicht in jung und schön. Und wo es Spotify-Chef Daniel Ek am liebsten wäre, Künstler würden im Wochenrhythmus neue Musik veröffentlichen, entgegnen Wolf Alice: „Wir sind sehr romantisch in Bezug auf das Format Album und auch ein bisschen retro. Uns geht es um viel mehr als zwei oder drei gute Songs.“ Es geht dieses Mal auch um einen thematisch roten Faden.

Von ihrer Plattenfirma lassen sich Wolf Alice für dieses Vorhaben in eine umgebaute Kirche einmieten, im Nirgendwo der ländlichen Region Somerset, südlich von Bristol. Hier ist die Band so abgeschieden, dass selbst Corona nicht die Chance hat, zum bestimmenden Thema zu werden. Das eröffnende „The Beach“ wirkt wie der Choral unterm abgehängten Kirchendach und ebnet den Weg für ein Album, das titelgemäß den Fokus jederzeit auf die Hochs und Tiefs des Wochenendes legt. „Das zieht sich durch das ganze Album“, sagt Schlagzeuger Joel Amey. „Es repräsentiert die Zeit, die wir die vergangenen Jahre verlebt haben. Unsere Zwanziger sind darin präsent, die damit verbundenen emotionalen Berg- und Talfahrten und nicht zuletzt die enorme Rolle, die das Wochenende dabei spielt. Mein ganzes Leben ist definiert durch die Bewegungen eines Wochenendes. Das kann eine Achterbahnfahrt sein, wenn man zwanzig ist. Man geht aus, trifft sich mit Leuten, trennt sich von Leuten. So etwas passiert an Samstagen. Die Sonntage sind dafür da, um das dann auszuhalten.“ Mit „Play The Greatest Hits“ passiert Wolf Alice wiederum doch der eine Song, der sich als Ausbrecher partout nicht zu den anderen fügen will. Einer, der wild und flink in den Punk-Club drängt, nur damit die Spotify-Hörer wieder am Lautstärkeregler drehen müssen.

Wolf Alice
Blue Weekend

Caroline/Universal, 4. Juni

Bei ihrem dritten Album vermeiden es Wolf Alice, irgendeiner Erwartungshaltung auf den Leim zu gehen und machen stattdessen ihr bis dato kohärentestes Album. Der Sound ist in der Breite ausgestaltet: Mehr Synthesizer und mehr Streicher ziehen das bereits auf den Vorgängern großzügig definierte Indie-Rock-Spektrum noch weiter auf. Die mancherorts mit Chören ausgestatteten Songs funkeln gar mit pastoralem Glanz. Und das könnte auch damit zu tun haben, dass der vom Label finanzierte Rückzugsort für die Band eine umgebaute gotische Kirche südlich von Bristol war.


Foto: Jordan Hemingway

Daniel Thomas