Musik

04.02. | Album der Woche

Joel Lyssarides • Stay Now

ACT

Foto: Nikola Stankovic


Im Cockpit des Jazz

Der schwedische Pianist Joel Lyssarides über seine Sucht, zu spielen, und die Frage, warum eine Band in der Lage sein sollte, einen Ballon zu balancieren.

Joel Lyssarides hat die Schule geschwänzt – mehr als nur ein paar Mal. Dem 13-jährigen Schweden war dabei nicht nach Gamen oder Skaten zumute. Nein, es ging ums Musikmachen. „Es ist damals richtig eskaliert. Ich habe alles vernachlässigt, nur um Klavier zu spielen. Ich fing an, das Schulsekretariat mit der Stimme meines Vaters anzurufen und mich krank zu melden. Das war der Lifehack meines Lebens! Denn dann konnte ich zuhause bleiben und meine Helden transkribieren.“

Ein „Wunderkind“ – das war Joel Lyssarides nach Meinung vieler in den Nullerjahren. Schon als Vierjähriger bekam er Klavierunterricht, entdeckte durch seine Eltern später den Jazz. Doch eine Profi-Karriere hatte der gebürtige Stockholmer nie vor Augen. „Jetzt sagen alle: oh, du wolltest schon als Kind Musiker werden. Aber nein, ich hatte gar keine Wahl! Es hat einfach so viel Spaß gemacht. Und das tut es noch immer. Es ist eine Sucht.“ Gut 15 Jahre nach seinen kindlichen Schwindeleien veröffentlicht der Pianist mit seinen langjährigen Begleitern Niklas Fernqvist (Kontrabass) und Rasmus Blixt (Schlagzeug) sein erstes Album auf einem großen Label: „Stay Now.“

„Es ist einfach, traurige Lieder zu schreiben“, sagt Lyssarides, „aber Songs, die Energie besitzen und trotzdem ernst zu nehmen sind? Das ist richtig schwer!“ Lyssarides, der einst vom selben Lehrer unterrichtet wurde wie der schwedische Jazz-Star Esbjörn Svensson, ist es auf seinem neuen Album gelungen, Balladen und bluesigere Songs auszubalancieren – und Einflüsse von Pop und Klassik zuzulassen. Was ihm wichtig ist: „Im Jazz geht es um Zusammenarbeit. Das findest du so nicht in der Klassik.

Die Philosophie der Miles Davis Group wurde einmal als Ballon beschrieben, der niedersinkt. Alle in der Gruppe sind darum bemüht, den Ballon nicht den Boden berühren zu lassen. Aber das muss ohne größere Bewegungen geschehen!“ Auch Joel Lyssarides’ Spiel zeichnet sich durch eine solche Mühelosigkeit aus. Das Publikum dankt es ihm: schon vor der Veröffentlichung von „Stay Now“ gehörte er zu den meistgehörten europäischen Pianisten auf Spotify. „Es ist wirklich ein fantastisches Instrument“, schwärmt der Schwede über sein Arbeitswerkzeug, „auch von der technischen Seite her betrachtet. Du hast darauf so viele Möglichkeiten! Klavier zu spielen, ist wie im Cockpit eines Flugzeugs zu sitzen. Du kannst alles kontrollieren und alles vor dir perfekt sehen.“ Das Schwänzen hat sich also gelohnt.

Lyssarides - Stay Now

Joel Lyssarides
Stay Now

ACT, 28. Januar

Viele seiner erfolgreichsten Songs sind Solo-Stücke, doch sein Debüt für das Label ACT hat Joel Lyssarides mit einem sanft groovenden Trio eingespielt. Ein Dutzend Songs, viele davon Balladen, ganz ohne lange, nervenaufreibende Soli. Der Pianist ist ein Geschichtenerzähler, der keine drei Minuten braucht, um eingängige Melodien ganz ohne Kitsch zu einem lyrischen Ganzen zu verbinden. „Stay Now“ – wer sich dafür Zeit nimmt, bleibt zweifellos gelassen.

Daniel Thomas