Musik

03.12. | Album der Woche

Anna Gréta • Nightjar In The Northern Sky

ACT

Foto: Birna Ketilsdóttir Schram


Teurer Anfängerfehler

Jahrelang trat Anna Gréta als Pianistin in Erscheinung. Nun wagt sich die Isländerin erstmals ans Mikrofon und überzeugt mit einer Melange aus Pop und Jazz.

Anna Gréta, warum haben Sie so lange gebraucht, um Ihre Stimme zu finden?
Ich habe im Alter von acht Jahren mit dem Klavierspiel begonnen und mich seitdem immer als Instrumentalistin gesehen. Das war meine Identität. Als ich dann in Bars spielte, haben mich ständig Leute gefragt, wann ich denn endlich anfangen würde zu singen. Mich hat das genervt.

Warum?
Weil es mir so vorkam, als würden die Menschen vor allem aufgrund meines Geschlechts erwarten, dass ich auch singe. Ich glaube nicht, dass ein Mann so oft darauf angesprochen worden wäre. Männern nimmt man eher ab, dass sie reine Instrumentalisten sind. Für mich fühlten sich die ständigen Nachfragen an, als sei ich als Pianistin nicht genug. Ich wollte nicht dem Klischee entsprechen, dass die Frau in einer Jazzband immer singen muss.

Was hat Sie schließlich doch zum Mikrofon greifen lassen?
Ich habe mich schon immer für Texte und Melodien interessiert und am liebsten mit Sängern gespielt. Zu Beginn des Jahres 2019 habe ich angefangen, auch selbst Texte zu schreiben, wusste aber noch nicht, was ich damit machen sollte. Während einer Entspannungsphase in einer Yoga-Stunde fiel es mir dann plötzlich wie Schuppen von den Augen: Wieso versuche ich nicht einfach, diese Lieder selbst zu singen?

Fiel Ihnen dieser Schritt leicht?
Anfangs war ich sehr schüchtern und wollte meine Versuche niemandem zeigen. Für mich ist es viel angsteinflößender, vor Menschen zu singen, als vor ihnen zu spielen. Besonders wenn es Zeilen sind, die sehr persönlich sind. Nachdem ich meiner Schwester einige Demos zeigte und sie mich bestärkte, fiel es mir leichter. Ich realisierte aber auch, dass es mir wichtig war, „Nightjar In The Northern Sky“ in der Tradition des Jazz aufzunehmen.

Wie sieht diese Tradition aus?
Man trifft sich mit anderen Musikern im Studio und spielt zusammen. So bewahrt man dieses Live-Gefühl. Wir haben alle Instrumente gleichzeitig aufgenommen. Danach hatte ich noch einen Tag im Studio in Island gebucht, um den Gesang aufzunehmen. Das war eine lustige Vorstellung, denn ich hatte keine Ahnung, wie anstrengend das ist. Man muss ausgeruht sein und sich wohlfühlen. Für mich aber war es sehr befremdlich, ganz alleine, nur mit Kopfhörern in diesem riesigen Raum zu stehen. Im Endeffekt habe ich keine einzige Aufnahme von diesem Tag genutzt. Das war ein teurer Anfängerfehler. (lacht)


Anna Gréta
Nightjar In The Northern Sky

ACT, 29. Oktober

Anna Gréta gelingt auf „Nightjar In The Northern Sky“ ein Drahtseilakt. Die gebürtige Isländerin, die seit ihrem Studium in Schweden beheimatet ist, fusioniert auf ihrem Debütalbum gekonnt Singer/Songwriter-Klänge und Jazz. Während der Titelsong als melancholische Klavierballade ohne weitere Zutaten berührt, ist bei „Sleepless“ oder „Blue Streams“ Platz für ausufernde Instrumental-Soli, die nach ihrem Intermezzo wie selbstverständlich den Weg für Grétas kristallklare Stimme freimachen.

Katharina Raskob