Literatur

03.03. | Buch der Woche

Slavoj Žižek • Ein Linker wagt sich aus der Deckung

Ullstein

Das Wir gewinnt

Vielschreiber Slavoj Žižek hat erneut abgeliefert. Der Lieblingsintellektuelle des linken Bildungsproletariats will den Kommunismus wiederbeleben.

Es steht nicht gut um die radikale Linke. Eingekeilt zwischen einem zunehmend obrigkeitshörigen (Links-)Liberalismus auf der einen Seite, der sich nicht nur in der aktuellen Pandemie hinter der offiziellen Staatsräson versteckt, und rechtspopulistischen, nationalistischen und identitären Bewegungen auf der anderen Seite bleibt wenig Raum für eine Linke, die nicht nur die Sprache, sondern auch die ökonomischen Verhältnisse verändern will. Dabei wäre sie genau das, was die Welt braucht. Davon jedenfalls ist Philosoph Slavoj Žižek überzeugt. Mit seinem gut bestückten Instrumentenkoffer, gefüllt mit Psychoanalytiker Jacques Lacan, marxistischen Klassikern und hegelianischer Philosophie, setzt Žižek den Meißel an die Gegenwart und ihre Verhältnisse. Wir befinden uns in einer Situation, so Žižek, in der selbst radikale linke Kritik lediglich Kritik am bestehenden System ist und jene dieses System mit einer Fülle an Anforderungen und Reformwünschen überhäuft (von Klimafreundlichkeit bis Gendersternchen) – was nicht zu einem neuen, besseren System, sondern lediglich zu einem überforderten alten System führt. Was fehlt, ist die doppelte politische Arbeit vor Ort und an einer neuen Idee für ein System, in dem nicht länger über Symptome – Steuern, Staatsversagen, Spritpreise – gestritten werden muss, da die ihnen zugrundeliegenden gesellschaftlichen Widersprüche aufgehoben worden sind.

Letztlich krankt aber auch Žižeks Entwurf an jenem großen Mangel aller linken Systemkritik der vergangenen drei Jahrzehnte: der Abwesenheit einer verbindenden und die Menschen begeisternden Utopie, wie ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem aussehen könnte. Das ist natürlich nicht Žižeks Schuld. Schwerer wiegt da das Problem des kollektivierenden "Wir", das sein Buch durchzieht ("Wir müssen…", "uns sollte klar sein…"). Dieses schlicht vorausgesetzte "Wir" vereinnahmt den Leser für die Position des Autors und postuliert einen Common Sense dort, wo ein Argument oder zumindest eine Erläuterung angebracht gewesen wäre. Denn ob oder wie ein solches "Wir" unter den kapitalistischen Bedingungen, die Žižek so meisterhaft seziert, überhaupt hergestellt werden könnte, bleibt unklar. Lesespaß gibt es trotzdem, sofern man es schafft, sich auf die Gedankensprünge und fragmentarischen Ausführungen zu Sowjet- Schriftsteller Platonow, dem politischen Theoretiker Ernesto Laclau oder der griechischen Syriza-Partei einzulassen. Die teilweise wilde Mischung aus Zeitungslektüre, Intellektuellendiskurs und freier Assoziation könnte, in bester Žižek-Manier, genauso gut "Eine kleine Geschichte von allem und jedem" heißen. Wer ein stringent argumentierendes Handbuch zur Weltrevolution oder auch nur einen roten Faden sucht, wird sich in "Ein Linker wagt sich aus der Deckung" schon nach wenigen Seiten verirren. Für alle anderen wird Slavoj Žižek vermutlich auch nach der Lektüre ihr Lieblingsintellektueller bleiben.


Slavoj Žižek
Ein Linker wagt sich aus der Deckung
Ullstein, 352 Seiten

Daniel Monninger