Musik
03.01. | Album der Woche
The National • Rome
4AD / Beggars · 13. Dezember
Foto: Graham MacIndoe
Geben und Nehmen
Das lang erwartete Doppel-Live-Album der melancholischen Indierocker dokumentiert den beeindruckenden Sog, den The National bei Konzerten erzeugen.
The National im Studio sind ein gut eingespieltes Team. Zwei Brüderpaare, die Devendorfs für Bass und Schlagzeug, die Dessners für die Gitarren, dazu Sänger Matt Berninger, der sich sicher sein kann, dass seine melancholischen Verse über das Leben und Lieben, Scheitern und Schweben von der Band sicher aufgefangen werden. Was zuletzt zu Alben führte, die schön sind. Die aber nicht mehr so sehr fesseln, wie es bei den großen Platten zwischen 2005 und 2010 der Fall war. The National live sind eine andere Geschichte. Die Songs und Personen sind dieselben, zumindest auf dem Papier. Aber während die beiden Brüderpaare wie gehabt Zuverlässigkeit ausstrahlen, ist Berninger bekannt dafür, sich im Laufe der Shows im Sound, im Licht, in der Masse zu verlieren. Nicht im negativen Sinne, sondern so, wie man es sich wünscht, wenn ein Sänger in der Musik, die seine Band spielt, aufgeht. Wenn er seine Texte durchlebt. Was mitunter schwierig ist, da sie ja eben häufig genug vom Scheitern handeln. »Rome« ist nun das erste richtige Live-Album der Band. Es gab bereits zwei, doch waren diese sehr limitiert. »Boxer Live In Brussels« fokussierte sich auf das Album »Boxer, A Lot Of Sorrow« war eine 365 Minuten langes Experiment, bei dem die Band immer wieder diesen einen Song spielte: »Sorrow«. Die Fans haben also lange auf einen offiziellen Mitschnitt gewartet. Und Rome erfüllt die Erwartungen. Die Band vermeidet den Fehler, die Live-Platte zu einem verkappten Studioalbum zu machen. Es gibt hier keine Overdubs, keine Reparaturmaßnahmen – die Dynamik des Raumerlebnisses ist wichtiger als spielerische und klangliche Perfektion. Im Zentrum steht wie erwartet Matt Berninger, und der verliert sich bei dieser Show schon beim zweiten Song, der Trennungsstory »Eucalyptus« über die Frage, wer denn nun das ganze Zeug erhält, die Pflanzen, den Nippes, die Platten. Die Verzweiflung darüber, diesen ganzen Kram und mit ihm die Erinnerungen nicht vergessen zu können: Man leidet mit Berninger, empfängt dessen Verzweiflung, die in Euphorie umschlägt. Immer wieder kommt es zu solchen Momenten, am stärksten beim Höhepunkt einer jeden Show von The National: »Mr. November« war einmal ein hoffnungsvoller Song, gewidmet Obama, als dieser seine erste Präsidentschaft errang. Diese Zeiten sind vorbei. »I won't fuck us over, I'm Mr. November«, heißt das Mantra des Stückes. Matt Berninger schreit es raus, verzweifelt. Sich selbst nicht mehr glaubend.
The National
Rome
4AD/Beggars • 13. Dezember
Bei den Konzerten gibt es kein Entkommen: Die Band entfacht einen Sog. Was im Studio manchmal sehr gemütlich wirkt, besitzt bei den Gigs eine besondere Dynamik. Und diese überträgt sich auf die 21 Stücke des Doppel-Albums. Zu einem Event wird die Platte im letzten Drittel, dann kommen Songs wie »Fake Empire« oder »Vanderlyle« »Crybaby Geeks«, die die Fans der Band von vorne bis hinten mitsingen. Matt Berninger lässt sich tragen, euphorisieren – es ist ein Geben und Nehmen zwischen Band und ihren Fans.
André Boße