Literatur

02.03. | Buch der Woche

Andrea Sawatzki • Brunnenstraße

Piper

Andrea Sawatzki teilt ihre Kindheit in zwei Hälften. Geboren am 23. Februar 1963 im oberbayerischen Schlehdorf wächst sie zunächst in der pittoresken südwestdeutschen Provinz auf, bis ihr Vater, der erfolgreiche Journalist Günther Sawatzki, die spätere Schauspielerin („Tatort“) im Alter von acht Jahren zu sich holt, gemeinsam mit seiner Geliebten, ihrer Mutter. Von dieser zweiten Phase, die bis zu ihrem 15. Lebensjahr reicht, handelt Sawatzkis autofiktionaler Roman „Brunnenstraße“. Es ist eine bewegte Zeit: Bald stellt sich heraus, dass ihr Vater schwer an Demenz erkrankt ist und seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Da das Geld knapp wird, muss die Mutter wieder als Nachtschwester arbeiten, und die kleine Andrea kümmert sich aufopferungsvoll um den launischen, manchmal gar jähzornigen Vater, der zunehmend von seiner Krankheit gezeichnet ist. Und dennoch: „Ich hätte meinen Vater gegen keinen Vater, den ich kannte, eintauschen mögen.“ In präzisen, fast filmischen Bildern fängt Sawatzki ihre Vaterbeziehung ein, die fortwährend zwischen Nähe, Zuneigung, Hass und Überforderung changiert, dabei jedoch eine geheimnisvolle Vertrautheit offenbart, die mit der Suche nach einem eigenen Leben ringt. Damit gelingt Sawatzki wie im Vorbeigehen ein Porträt der bundesrepublikanischen Siebzigerjahre: ein Land in Sepia, genau wie das Cover dieses wunderbar raureifen Romans.

Andrea Sawatzki
Brunnenstraße

Piper, 176 Seiten

Johannes Baumstuhl