Musik

01.11. | Album der Woche

Jacob Karlzon • Winter Stories

Warner Music Arts · 1. November

01.11. | Album der Woche - Jacob Karlzon • Winter Stories

Foto: Christoph Bombart


Eine Wintermeditation

Auf „Winter Stories“ widmet der schwedische Pianist Jacob Karlzon der kalten Jahreszeit ein ganzes Album. Weihnachten kommt darauf zwar vor, ist aber bewusst nicht das zentrale Element, wie Karlzon im Gespräch erklärt. Neben Traditionals aus verschiedenen geografischen Regionen und einer Eigenkomposition ist auch ein Stück zu hören, das man auf einem skandinavischen Winteralbum nicht vermuten würde: ein Song von US-Pop-Superstar Taylor Swift.

Jacob Karlzon, wie kam es zu »Winter Stories«?

Meine Plattenfirma fragte mich, ob ich ein Weihnachtsalbum aufnehmen wollte. Ich habe das verneint. Es gibt einfach viele verschiedene Arten, wie man diese Zeit im Jahr begehen kann, je nach Lebensanschauung, Religion oder Lebensumständen. Ich wollte kein kommerzielles Weihnachtsalbum machen, sondern mich thematisch auf den Winter konzentrieren. Natürlich legte man mir nahe, zumindest einige Weihnachtslieder mit auf das Album zu nehmen, was ich dann ja auch getan habe, aber auf meine eigene Art.

Mit welcher Prämisse gingen Sie an dieses Thema heran?

Mir war es wichtig, die empathische Seite dieses Festes zu betonen, unabhängig von religiösem Glauben. Ich wollte außerdem die Einsamkeit vieler Menschen während dieser Zeit zu thematisieren. So entstand ein Soundtrack für die Winterzeit, eine Art Meditation, ein Album, das hilft, die Batterien wieder aufzuladen, egal in welcher Lebenssituation man sich befindet.

Sie eröffnen das Werk mit dem Taylor-Swift-Stück »Evermore«, eine interessante Wahl.

Ich wollte in verschiedene Bereiche eintauchen, in verschiedene Zeiträume und geografische Regionen. »Evermore« ist einfach ein sehr schöner Song und hat auch einen tollen Text, den ich sehr inspirierend fand. Es machte einfach total Sinn, das Album damit zu eröffnen. Ich wollte einige schwedische Lieder dabei haben, die einfach zur Winterzeit passen – aber auch keltische Stücke und einen bulgarischen Song.

Wenn Sie ins Studio gehen: Wie viel ist Komposition und wie viel ist Improvisation?

Ich möchte mich immer selbst herausfordern. Ich hatte natürlich bereits Ideen für die Arrangements, aber es ging mir darum, der Musik eine bestimmte Form oder Identität zu geben, ohne alles im Voraus festzulegen, etwa, welche Klangfarben oder genauen Akkordvoicings ich nutzen wollte. Viele Dinge mussten spontan passieren. Das ist mir auch bei Konzerten sehr wichtig: Diese Lebendigkeit zu bewahren. Bei improvisierter Musik ist man immer auf die Umgebung und die Situation angewiesen.

Bei Pianisten kommt oft auch der Leih- oder Mietflügel als potenzielle Überraschung hinzu.

Ja, als Pianist hängt das oft vom Instrument ab: Manchmal ist es fantastisch und klingt schon fast von selbst schön, und manchmal braucht das Instrument deutlich mehr Aufmerksamkeit, was sich dann auch beim Spielen zeigt. Es bringt aber auch Dinge in einem hervor, von denen man vielleicht gar nicht wusste, dass sie da sind. Das verändert immer die Perspektive. Und natürlich ist auch das Publikum ganz entscheidend.

Weil Sie vorhin über das sich selbst herausfordern gesprochen hatten: wie sieht das bei Ihnen aus?

Wissen Sie, es gibt einfach so viele Dinge, die man lernen müsste oder möchte. Irgendwann merkt man, dass man das alles in seinem Leben gar nicht mehr schaffen wird. Das liegt auch daran, dass die Konkurrenz in jedem Bereich überwältigend ist. Vor allem in der Kunst, in der es aber darum geht, sich selbst auszudrücken oder sie zu einer Erweiterung des eigenen Selbst zu machen. Für mich ist das der Grund, warum ich improvisierte Musik spiele – weil ich spontan etwas Neues erschaffen möchte. Natürlich wäre es aus finanziellen Gründen einfacher gewesen, in eine andere Musikrichtung zu gehen. Aber dafür hätte ich ein anderer Mensch sein müssen. Also arbeite ich mit dem, was ich habe, und versuche, es so gut wie möglich zu machen. Das Wichtigste dabei ist, offen für neue Musik zu bleiben, sei es zeitgenössische oder auch ältere Musik, die man plötzlich neu entdeckt. Oft findet man dabei Qualitäten, die man zuvor gar nicht wahrgenommen hat. So erging es mir damals, als ich am Konservatorium war. Damals war es mir unglaublich wichtig, zeitgenössische Musik zu hören und zu spielen, sodass ich dadurch einen Großteil der Musik ignorierte, die davor entstanden ist – jene Musik, auf der andere Größen aufbauten. Das ist es, was ich interessant finde: die zeitliche Dimension offenzuhalten, wie eine Frequenz auf einem FM-Radio, und verschiedene spannende Töne und Klänge zu entdecken.


Jacob Karlzon Winter Stories Cover

Jacob Karlzon
Winter Stories
Warner Music Arts • 1. November

Die weitläufige Atmosphäre, die Melancholie, die melodischen Finessen: Das Themenfeld Winter passt mit skandinavischem Jazz von Natur aus hervorragend zusammen. Jacob Karlzon lässt auf seinem Solo-Pianoalbum »Winter Stories« die kalte Jahreszeit an mancher Stelle durchaus hell glänzen und im festlichen Licht erstrahlen, porträtiert aber immer wieder auch die Traurigkeit, die Einsamkeit und die Leere. Dabei greift er genauso zu keltischer wie zu skandinavischer Folklore, zu Pop (Taylor Swift) wie auch zu Jazz-Kompositionen (Thad Jones). Den Weihnachtsklassiker »Silent Night«, der das Album abschließt, hält er bewusst offen, harmonisiert dabei das eigentlich feierliche Thema mit jeder Menge Fragezeichen und Mollwendungen.

Markus Brandtstetter