Literatur

01.04. | Buch der Woche

Ta-Nehisi Coates • Der Wassertänzer

Blessing

Ta-Nehisi Coates

Der Wassertänzer

Blessing, 544 Seiten

Raus aus der Hölle

Ta-Nehisi Coates gilt vielen als lebender Nachfolger von James Baldwin. Mit der Sklavengeschichte »Der Wassertänzer« liegt nun sein vielfach erwarteter Debütroman vor.

Der amerikanische Journalist und Essayist Ta-Nehisi Coates ist spätestens seit seinem bahnbrechenden Essay »Zwischen mir und der Welt« einer der profiliertesten Kritiker des US-amerikanischen Rassismus. In dem als Brief verfassten Text geht er der Frage nach, wie man in den USA, wo es Tradition ist, »den schwarzen Körper zu zerstören«, in einem schwarzen Köper leben soll. »Du darfst nicht vergessen, wie viel sie dir genommen haben und wie sie unsere Körper in Zucker umwandelten, in Tabak, Baumwolle und Gold«, mahnt er darin seinen Sohn. Gedanken wie diese haben es bis in die amerikanische Unterhaltungsindustrie geschafft. So hatte er zum Beispiel bei den »Black Panther«-Comics und der erfolgreichen Kinoadaption seine Finger im Spiel. Die Bezugnahme zur Sklaverei in seinen essayistischen Arbeiten teilt er mit keinem geringeren als James Baldwin. Während sich jener in seinem literarischen Werk ganz an der Gegenwart abgearbeitet hat, verlegt Coates seinen Debütroman in die Zeit vor dem Bürgerkrieg, als die Sklaverei noch zur brutalen Normalität gehörte. Sein Ich-Erzähler Hiram wächst auf einer Tabakplantage im Süden Virginias auf, wo die Hierarchie ganz klar ist. Ganz oben stehen die weißen Plantagenbesitzer und Sklaventreiber, dann folgen die niedrigen Weißen, die sich als Sklaven jagende Bluthunde verdienen, nach ihnen die wenigen freien Farbigen und ganz unten ackern, bluten und sterben die »Verpflichteten«. Zu denen zählt Hiram, wenngleich er als anerkannter Sohn des Plantagenbesitzers Howell Walker einige Vorteile genießt. So muss er nicht wie andere auf den Feldern ackern, sondern darf als Haussklave andere unterhalten und Lesen und Schreiben lernen. Der Traum, eines Tages frei wie seine Besitzer zu sein, endet jedoch, als er zum persönlichen Sklave von Howells Sohn Maynard ernannt wird. Der ist ein Aufschneider und Spieler, dessen Schicksal ihn letztlich für seine Hybris straft. Bei einem Unfall ertrinkt er im Goose-River, während sich Hiram wie durch ein Wunder aus dessen reißenden Fluten retten kann. Er verdankt sein Leben der Gabe, sich (und andere) magisch von einem Ort zu einem anderen zu transportieren. Diese Fähigkeit ist es auch, die ihn in den Untergrund führt. Dem hatte Colson Whitehead seine mit dem National Book Award und dem Pulitzer-Preis prämierte Allegorie »Underground Railroad« gewidmet. »Der Wassertänzer« ist mehr als eine Variante davon, die Erzählung bewegt sich näher an der verbrieften Wahrheit. Coates lehnt sich stärker an die traditionellen Narrative der einschlägigen Klassiker an, seine Figuren spiegeln die Biografien legendärer Aktivisten wie die der Fluchthelfer William Still, Harriet Jacobs oder Frederick Douglass. Vor allem aber gelingt es ihm, die Underground-Aktivisten in all ihrer Zerrissenheit zwischen Angst, Mut und Hoffnung greifbar zu machen. Hiram wird zu einem Fährmann in die Freiheit, nicht zuletzt auch, um seine große Liebe zu befreien. Am Ende, nach allen Erfolgen und Verlusten, antwortet diese Liebe auf die Frage, was sie jetzt seien: »Wir sind, was wir immer waren. Der Underground.«

Thomas Hummitzsch