Literatur
01.01. | Buch der Woche
@kriegundfreitag • Gesammeltes Gekrakel 2017 – 2024
Lappan
Starke Striche
Unter dem Namen @kriegundfreitag, den er der Autokorrektur seines damaligen Handys verdankt, veröffentlicht Tobias Vogel seit 2017 Strichmenschen-Cartoons, mit denen er über soziale Medien inzwischen Hunderttausende Fans erreicht. Seinen ehemaligen Job bei einer Versicherung hat er längst aufgegeben.
Tobias Vogel, was ist Ihre erste Erinnerung an Strichmenschen?
Die ersten Strichmenschen meines Lebens habe ich wohl im Kindergarten gesehen, nachdem ich sie selbst als große Köpfe mit Armen und Beinen zu Papier gebracht hatte. Seitdem habe ich mich zeichnerisch so weiterentwickelt, dass meine Figuren nun immerhin einen Oberkörper haben.
Ihr neuester Band »Gesammeltes Gekrakel« ist eine Art Retrospektive der vergangenen Jahre. Wie kam es dazu, dass Sie 2017 als Strichmenschen-Cartoonist anfingen?
Ich war schon immer sehr kreativ und habe die unterschiedlichsten künstlerischen Ausdrucksformen ausprobiert. 2017 wollte ich einen Ausgleich zu meinem dagegen sehr unkreativen Job bei einer Versicherung finden und bin durch einige Zufälle beim Zeichnen gelandet.
Wen oder was wollten Sie mit den ersten Cartoons erreichen?
Ein Publikum hatte ich erst gar nicht unbedingt im Sinn, sondern einfach den Spaß an der Sache. Aber bald schon, als ich sah, wie schnell meine Followerzahlen stiegen, kam auch ein gewisser Drang nach Aufmerksamkeit dazu, das will ich nicht verleugnen.
Erinnern Sie sich daran, wie die sozialen Medien aufgestellt waren, als Sie Ihre ersten Cartoons im Netz veröffentlichten?
Schon damals hat mich vieles an den sozialen Medien genervt. Ich ahnte ja nicht, was noch kommen würde. Twitter oder X, wo ich meinen Anfang gemacht habe, ist seit der Übernahme durch Elon Musk komplett unbenutzbar. TikTok ist zwar ebenfalls problematisch, aber hier sehe ich noch eine Chance, mit der eigenen Kunst bekannt zu werden. Anders als viele annehmen, kann man dort nicht nur Videos, sondern auch Bilder posten und mit ihnen in kurzer Zeit sehr viele Menschen erreichen. Dabei spielen aber natürlich nicht nur das eigene Können, sondern auch Glück und der Algorithmus eine entscheidende Rolle.
Der Name »Krieg und Freitag« entstand damals durch die Autokorrektur Ihres Handys. Inwiefern ist das Smartphone heute eine wichtige Inspirationsquelle für Sie?
Das Smartphone ist in erster Linie eine Ablenkung und ich versuche alles, um es weniger zu benutzen. Die Inhalte, die mich darüber erreichen, sind aber, mit Glück, auch mal eine Inspiration. Das kann dann vieles sein: Cartoons, Memes, Zeitungsartikel. Wie ein Schwamm sauge ich permanent alles auf.
Ihr Humor gilt als »heiter-schwermütig«, Ihre Figuren haben oft eine lakonische Ader. Woher kommt diese Wehmut in Ihren Zeichnungen?
Dem Ernst des Lebens muss ich mich nicht bewusst zuwenden, er drängt sich mir ohnehin auf. Die Cartoons sind eine Möglichkeit, ihm mit Humor zu begegnen und ihm dadurch etwas die Schwere zu nehmen. In den Cartoons einfach »nur« witzig zu sein, hätte ich zudem als langweilig und künstlerisch wenig herausfordernd empfunden.
Mit einer Spendenaktion gegen Rechts haben Sie im Sommer 2024 für Aufsehen gesorgt. Wie kam es zu dieser Kampagne?
Die Hamburger Affenfaust Galerie, mit der ich schon einige Male zusammengearbeitet hatte, wollte eine Ausstellung mit mir machen und ich wollte diese Gelegenheit nicht nur zu meinem eigenen Vorteil nutzen, sondern meine Aktion »Strichmenschen-Kette gegen Nazis« aus dem Jahr 2018 in einem größeren Rahmen wiederholen. So ist aus der Kette dieses Mal eine Demo geworden, die ich auf ein zwei mal zehn Meter großes Blatt an der Wand der Galerie gezeichnet habe. Der Deal war, dass sich pro gespendeten fünf Euro eine weitere Strichfigur dazugesellt. Am Ende sind mehr als 4.000 Spenden eingegangen und insgesamt 70.000 Euro für die Initiative »Kein Bock auf Nazis« zusammengekommen.
Wie lange haben Sie für das Zeichnen der daraus resultierenden 12.896 Strichmenschen gebraucht?
Brutto waren es um die 50 Stunden, immer mal wieder unterbrochen von Pausen, in denen ich mich über mein schmerzendes Handgelenk beklagte.
Inzwischen haben Ihre Zeichnungen sogar in einem gelben Reclam-Heft Platz gefunden. Was bedeutet Ihnen diese Kooperation?
Ende 2023 war ich gerade dabei, mir einen Account beim neuen sozialen Netzwerk Bluesky aufzubauen. Irgendwann stellte ich fest, dass der Reclam-Verlag, zu dem ich allein schon wegen meiner Schulzeit eine besondere Bindung habe, mir dort folgt. Bei vielen lösen die ikonischen gelben Heftchen nostalgische Gefühle aus, so auch bei mir. Also dachte ich: Wie wild wäre es, wenn es da auch eine @kriegundfreitag-Veröffentlichung gäbe? Zwischen diesem Gedanken und meinem Post dazu verging kaum eine Minute und zwischen dem Post und dem Angebot von Reclam lag lediglich ein Tag. Wenige Tage nach Release musste erst die zweite und dann auch schon die dritte Auflage gedruckt werden. So einen Hype habe ich vorher noch nicht erlebt!
Neben Ihren Aktivitäten im Netz und den erfolgreichen Buchveröffentlichungen treten Sie auch mit einer eigenen Cartoon-Show vor Publikum auf. Mit »Dem Pöbel zur Freude« existiert außerdem seit einiger Zeit eine monatliche Comedy-Show, die Sie zusammen mit wechselnden Kollegen gestalten. Was reizt Sie daran, Ihre Zeichnungen auf der Bühne zu präsentieren?
Ich genieße es, nach der einsamen Arbeit am Schreibtisch unter Leute zu kommen und live zu sehen, wie die Menschen auf meine Einfälle reagieren. Vielleicht habe ich auch eine kleine Rampensau in mir, die ab und zu nach ihrem Recht verlangt. Diese und andere Auftritte gehören mittlerweile zu den Highlights meines Jobs.
Welchen Themen wollen Sie sich im kommenden Jahr verstärkt widmen?
Ich verstehe mich nicht in erster Linie als politischer Künstler, habe auch sonst keine wirklichen Themenschwerpunkte und erst recht keine Pläne, die über den morgigen Tag hinausgehen. Aber falls es wieder eine Spendenaktion geben sollte, wird sie auf jeden Fall den Klimaschutz in den Mittelpunkt rücken, den wir aufgrund der Fokussierungen auf andere Themen wie beispielsweise Migration zunehmend aus den Augen verlieren.
@kriegundfreitag
Gesammeltes Gekrakel 2017 – 2024
Lappan, 160 Seiten, 25,00 €
Filip Kolek & Lars Backhaus