
Wolfgang Müller
„Von mir aus kann jeder Strichjunge Präsident werden.“
Zur Person
Wolfgang Müller, 1957 geboren, lebt als Konzeptkünstler, Musiker und Autor in Berlin. Er gilt als einer der bedeutendsten Protagonisten deutscher Subkultur der letzten 30 Jahre. 1982 gab er den Band „Geniale Dilletanten“ im MERVE-Verlag heraus. Das Buch wurde nicht allein aufgrund des Rechtschreibfehlers im Titel legendär. Es vereinigt Textbeiträge von KünstlerInnen wie Gudrun Gut, Blixa Bargeld, Matthias Roeingh (später bekannt als Dr. Motte) und Tabea Blumenschein, die damals einer vielgestaltigen Westberliner Künstler- und Musikerszene angehörten. Das Buch wurde zu einem Manifest und Zeitdokument. Wolfgang Müller ist Mitbegründer der Band Die Tödliche Doris, die bis 1987 existierte, außerdem war er Gastprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Zahlreiche Ausstellungen, Platten-Aufnahmen und Hörspiele gehören zu seinem Werk. Außerdem ist er Autor der Bücher „Subkultur Westberlin 1979-1989 Freizeit“ (2012), „Valeska Gert. Ästhetik der Präsenzen“ (2010), „Neues von der Elfenfront“ (2007), „Neue Nord-Welt“ (2005) und „Hormone des Mannes“ (1995).
24.01.2014, Köln. Der Berliner Konzeptkünstler und Schriftsteller Wolfgang Müller beendet gerade sein Hotel-Frühstück mit einem Blick ins Smartphone. Nach einem anekdotenreichen Vortragsabend an der Kölner Kunsthochschule für Medien steht sein Rucksack für die Rückreise bereit. Darüber sind nonchalant ein dicker Winterpullover und eine Jacke geworfen. Unprätentiös, mit offenem Lachen und leichtem Berliner Sing-Sang wird die deutsche ‚Subkultur-Ikone’ die nächsten anderthalb Stunden den Begriff „Subkultur“ in der Postmoderne unter einer Vielzahl von Blickwinkeln verorten – von Jonathan Meese über van Gogh bis zum NSA-Skandal, von der Geschwindigkeit bis zu seinem Geheimnis.
Herr Müller, Sie gelten seit Ende der 70er-Jahre als einer der Protagonisten deutscher Subkultur, gerade als Gründer der Berliner Band Die Tödliche Doris. Letztes Jahr haben Sie ein viel beachtetes Buch über die Subkultur Berlins zwischen 1979 und 1989 geschrieben. Aus eigener Erfahrung: Was braucht ein Mensch, um sich in einer Subkultur wiederzufinden und sie zu produzieren?
Wolfgang Müller: Ich würde Subkultur zweiteilen. Es gibt eine Subkultur die man wird, ohne es sein zu wollen. Das betrifft Leute, die ausgegrenzt werden von Mehrheiten. Das können ethnische oder soziale Gruppen sein, wie etwa gehörlose Menschen und generell alle, die nicht in den Mainstream passen. Es gibt aber auch einen Begriff der Subkultur, der „das Übersehene“ ist. Also, dass sich etwas entwickelt und nicht wahrgenommen wird, weil die Mehrheiten oder die Medien es nicht registrieren. Erst ab einem bestimmten Punkt wird es dann sichtbar.
Ein Beispiel?
Punk ist so ein Beispiel. Das war erst ein Randphänomen an verschiedenen Orten. Selbst in kleinen Dörfern gab es ja Punks. Heute wird damit Werbung gemacht und Audi ist der neue Punk. Das Randphänomen von damals ist heute voll im Mainstream angekommen. Ein anderes Beispiel: In der Mehrheitskultur der Hörenden gibt es gar kein Bewusstsein für gehörlose Kultur. Hörende, wenn sie selbst keine Gehörlosen kennen, können sich kaum vorstellen, dass sich da eigene Kulturformen entwickelt haben, wie die „Gebärdenpoesie“ oder den „Deaf Poetry Slam“, wo in Gebärden gereimt wird, statt in Wörtern. Das sind spannende Umsetzungen, die eigentlich alle bereichern müssten.