Walter Kempowski

Walter Kempowski

„Bis heute rase ich wie angeschossen dahin.“

Autor/in
Fotos
  • Frauke Reinke Wöhl
Kategorie
Leserbewertung

Zur Person

21.05.2004, Zeven. Bei Walter Kempowski daheim sieht es exakt so aus, wie man sich das bei Deutschlands penibelstem Sammler von historischen Fakten und gesellschaftlichen Zusammenhängen vorstellt: Überall lagern Bücher, Dossiers, Zettelkästen und Lose-Blatt-Sammlungen. Im Gespräch gibt sich der Schriftsteller hingegen sehr aufgeräumt und sortiert. Was nicht mehr verwundert, nachdem er gesteht: „Ich lasse mir häufiger Beruhigungsspritzen geben“.

Herr Kempowski, Sie gelten als der produktivste deutsche Schriftsteller. Man kennt Sie aus zahlreichen Talkshows; sogar auf MTV waren Sie zu sehen. Dabei sind Sie jenseits der 75. Wie geht es Ihnen?

Walter Kempowski: Nicht sehr gut, aber man schleppt sich so hin. Ich werde allmählich tüdelig. Beim Schreiben Gott sei Dank nicht, aber beim Täglichen. Ich habe zum Beispiel Angst, zum Haarschneider zu fahren, das ist doch sonderbar, oder? Es sind nur zwanzig Kilometer, die ich früher jeden Tag zur Schule fahren musste, also in- und auswendig kenne. Aber die Fahrt strengt mich an. Wenn man so lange fährt wie ich, und unfallfrei, da denkt man sich: Womöglich passiert es jetzt? Hinzu kommt der Zusammenprall mit Menschen – in Zeven laufen ja Leute auf der Straße herum, die man vielleicht übersieht. Die man zwar kennt, aber nicht erkennt. Und dann die geschwätzige Friseuse. Sie schneidet einen falsch und man hat nicht den Mut „Halt!“ zu schreien.

Sie fahren noch selber Auto?

Ich traue mich nicht mehr, ich habe richtig Angst davor. Die verschiedenen Zeichen: Einbiegung links, Einbiegung rechts, oder dass dann plötzlich ein Radfahrer aus der Querstraße kommt. Man kann das jemandem, dem Autofahren immer noch die zweite Natur ist, kaum begreiflich machen. Seit 1960 fahre ich jeden Tag Auto, und jetzt ist Schluss.

Ab hier lesen nur GALORE-Abonnenten kostenlos weiter! Eines der vielen Abo-Extras.