Volker Gerhardt

Volker Gerhardt

„Wo es Religionen gibt, gibt es Streit.“

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  • Anne-Lena Michel
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Zur Person

25.2.2015, Berlin. Professor Dr. Volker Gerhardt blickt aus seinem Büro im Institut für Philosophie der Berliner Humboldt-Universität. Draußen spielt die Februarsonne Frühling, die Touristenströme schlängeln sich durch den Baustellenparcours Unter den Linden. Das friedvolle Ambiente passt zu Professor Gerhardts neuem Buch: „Der Sinn des Sinns“ möchte das Verhältnis von Glauben und Wissen präziser fassen und zeigen, dass beide wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Damit will er die Vernunft in die Religion zurückbringen. Keine einfache Aufgabe in diesen Zeiten.

Professor Gerhardt, können Sie kurz erläutern, in welchem Verhältnis Religion und Philosophie traditionell zueinander stehen?

Professor Gerhardt: Ursprünglich wurden Religion und Philosophie nicht unterschieden. Das Göttliche gehörte zum Verhältnis, das der Mensch zu seiner Welt und zu sich selber braucht. Die ersten Philosophen, insbesondere Parmenides und Heraklit und später Platon und Aristoteles, sind davon ausgegangen, dass das Göttliche nicht etwas Fernes jenseits der Welt ist, sondern dass es sich in der Welt durch dasjenige zeigt, was man im Denken, Sprechen und Handeln immer schon in Anspruch nimmt, ohne es selbst nach Art eines Gegenstands begreifen zu können. Diese Tradition hat sich im europäischen Denken fortgesetzt, und so war die Theologie immer ein Teil der Metaphysik – der auch heute nicht inaktuell gewordenen umfassenden Disziplin der Philosophie. Eine Trennung hat sich erst unter neuzeitlichen Bedingungen ergeben, nachdem klar war, dass die Philosophie keine Gottesbeweise vorlegen kann. Damit hat sich die Verbindung zwischen Theologie und Philosophie allmählich verloren. Derjenige, der den entscheidenden Schlag geführt hat, war Nietzsche mit seiner These vom „Tod Gottes“. Daraus ist im 20. Jahrhundert so etwas wie ein neues Glaubensbekenntnis geworden, so dass inzwischen viele meinen, Theologie sei etwas, was nur noch die Kirchen und einige intellektuell zurückgebliebene Denker beschäftige, ohne etwas mit der Philosophie zu tun zu haben.

Weil sich die Philosophie verstärkt dem Atheismus zugewandt hat?

Der Atheismus hat stets zur Philosophie gehört. Schon in der Antike gab es Philosophen, die gesagt haben: „Wir können über das Göttliche nichts wissen und daher auch nichts darüber aussagen.“ Epikur war einer der bedeutendsten Atheisten in diesem Sinne. Der Atheismus hat sich insofern immer auch als eine These innerhalb der Philosophie gehalten und hat sich, nachdem die politische Macht der Kirchen im Zeitalter der europäischen Aufklärung zurückging, auch als eine Position außerhalb der Philosophie etabliert. Die meisten sehen einen Gegensatz zwischen Atheismus und rationaler philosophischer Theologie. In meinem Buch vertrete ich dagegen die These, dass die rationale philosophische Theologie dem Atheismus viel verdankt, denn er hat die Philosophie genötigt, den Begriff des Göttlichen zu schärfen.

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