Virginie Despentes
„Ich identifiziere mich mit der Beute.“
Zur Person
Virginie Despentes (geboren 1m 13.06.1969 in Nancy) ist eine der erfolgreichsten französischen Schriftstellerinnen. Mit „Baise-moi“, ihrem 1993 erschienenen ersten Roman, löste sie einen Skandal aus: Erstmals machte eine Frau die am eigenen Leib erfahrene Vergewaltigung zum literarischen Sujet. Die Verfilmung – Despentes führe selbst die Regie –wurde in Frankreich wegen expliziter Darstellungen von Sex und Gewalt nur in Kinos für Erwachsene gezeigt. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin jobbte sie in Massagesalons, trat als Stripperin auf, war an Supermarktkassen und in Call-Centern tätig. Sie sang in einer Band, arbeitete im Plattenladen. Mittlerweile wird sie mit Literaturpreisen überhäuft. Virginie Despentes lebt seit Jahren in Paris, verbringt zudem viel Zeit in Barcelona.
18. November 2018, Berlin. Im Hotel de Rome, dem ehemaligen Hauptsitz der Dresdner Bank, logieren die Schönen und Reichen. Die französische Autorin Virginie Despentes sinkt in der Raucherlounge auf die weichen Polster und steckt sich eine Zigarette an. Die Pariserin ist nicht häufig in Berlin, in Erinnerungen schwelgt sie in der Hamburger Hafenstraße, in den besetzten Häusern der 80er-Jahre. Damals war sie eine junge Außenseiterin, heute ist sie der Star der französischen Literaturszene. Ein Gespräch über Pornografie und die neue Bürgerlichkeit, über männliche Protestformen und das beruhigende Gefühl, Geld zu verdienen.
Madame Despentes, man kennt Sie hierzulande fast nur in T-Shirts von klassischen Hardrockbands wie Motörhead oder Guns N’Roses. Mögen Sie alte, weiße Männer?
Ein paar alte Rocker bestimmt, Lemmy von Motörhead sowieso. Er hat eine extrem wirksame, anregende Art von Rockmusik erfunden, und genau das versuche ich als Schriftstellerin mit Sprache hinzubekommen. Ich versuche, den Motörhead-Effekt zu erreichen: Stärkung, Kräftigung, damit man am Ende des Tages nicht niedergeschlagen ist. Im Übrigen habe ich nur ein einziges Foto mit diesem Motörhead-T-Shirt gemacht – und genau das taucht überall auf.
Der verstorbene Motörhead-Bandboss Lemmy Kilmister ist nicht die schlechteste Muse: „The Chase Is Better Than The Catch“, heißt einer seiner Songs. Wann haben Sie gemerkt, dass es besser ist, auf der Seite der Jäger zu stehen?
Ich bin nicht sicher, ob man sich als Jäger wirklich besser fühlt. Ich selbst identifiziere mich eher mit der Beute. Ich bin nicht gut darin, mich zu verteidigen und daher lieber auf der Flucht. Man kann seine Natur nicht ändern. Am besten ist es aber, wenn man sich fern der Jagdgesellschaft bewegt.