Venki Ramakrishnan
„Es geht immer um das Gleichgewicht.“
Zur Person
Venki Ramakrishnan, geboren 1952 in Chidambaram, Indien, ist Molekular- und Strukturbiologe. Nach seinem Studium der Physik promovierte er in den USA in Biologie und spezialisierte sich auf die Untersuchung der Ribosomen. 2009 wurde ihm gemeinsam mit Thomas A. Steitz und Ada Yonath der Nobelpreis für Chemie verliehen. Ramakrishnan ist ehemaliger Präsident der renommierten Royal Society in London, der nationalen Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreichs für die Naturwissenschaften. Den ihm 2012 verliehenen Rittertitel des Sirs nutzt er nicht. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie der American Philosophical Society und gehört zum auf 24 Personen beschränkten Kreis der Ordensträger in der zivilen Sparte des Order of Merit. Neben seiner Forschung ist er bekannt für sein Engagement in der populären Wissenschaftskommunikation. Derzeit ist er am Medical Research Council Laboratory of Molecular Biology in Cambridge tätig.
4. September 2024, Cambridge. Das Büro des Nobelpreisträgers und mit zahlreichen wissenschaftlichen wie staatlichen Meriten geschmückten Forschers Venki Ramakrishnan zeigt sich schmucklos im digitalen Zoom-Fenster. In einem schlichten weißen Regal reihen sich Bücher und DVDs aneinander. Ein gelber Fahrradhelm liegt kopfüber hinter dem Gesprächspartner auf dem Aktenschrank, funktionaler Partner der roten Windjacke auf dem weißen Kleiderständer. Der Wissenschaftsstar trägt Hemd und Pulli. Ein paar Kabel schwingen sich hinter dem Schreibtisch zu Schleifen auf. Selbstinszenierung oder virtuelle Hintergründe hat dieser Forscher nicht nötig, der jeden Zusammenhang in der Biologie des Alterns und Sterbens in aller Ruhe erklärt.
Venki Ramakrishnan, wenn die Menschheit eines Tages in der Lage wäre, uns die Option der Unsterblichkeit zu bieten, würden Sie sich persönlich dafür entscheiden?
Ich würde gern glauben, dass ich ablehnte. Zumindest dann, wenn ich nur einer von wenigen wäre, die diese Karte ziehen könnten. Denn dann wäre ich dazu verdammt, alle meine Freunde sterben zu sehen. Das wäre nicht so schön, oder? Aber nehmen wir an, alle lebten ewig. Ein Teil dessen, was uns Sinn im Leben gibt, und uns antreibt, ist das Gefühl, dass unsere Zeit auf der Erde begrenzt ist. Darin liegt der Anreiz, das Beste aus unserem Leben zu machen. Das Parkinson-Gesetz besagt, dass sich die Arbeit immer so weit ausdehnt wie die Zeit, die man dafür zur Verfügung hat. Haben Sie drei Monate, um eine Aufgabe zu erledigen, werden sie drei Monate dafür brauchen. Haben Sie nur drei Tage, gelingt es in diesen dreien. Ausgestattet mit unendlicher Zeit würden wir also ziellos treiben. Das sage ich jetzt, weil ich weiß, dass ich sehr wahrscheinlich morgen nicht sterben werde. Aber es gibt diesen alten Witz: Wer möchte schon hundert Jahre alt werden? Die Antwort: Jemand, der 99 ist. Mit 99 würden die meisten Menschen eine Pille nehmen, die ihnen zehn Extra-jahre gesundes Leben verschafft. In gewisser Weise machen wir das ja längst. Ich nehme zum Beispiel Statine und Medikamente gegen hohen Blutdruck, damit ich keinen Schlaganfall bekomme oder an einem Herzinfarkt sterbe.
Ich habe vor dem Gespräch überlegt, welche Antwort Sie auf die Einstiegsfrage geben könnten. Mein Tipp wäre gewesen, Sie wollen so lange leben, bis Sie alle Ihre wissenschaftlichen Ziele erreicht haben.
Das Problem mit der Wissenschaft ist, dass es kein Ende gibt. Ich habe viele meiner Ziele erreicht, aber jedes dieser Ziele eröffnet neue Fragen. Tatsächlich habe ich beschlossen, mich im kommenden Jahr aus dem Forschungsbetrieb zurückzuziehen. Nicht, weil mein Fachgebiet an ein Ende gekommen wäre, sondern eben, weil es endlos ist. Es ist Zeit, dass andere Leute weitermachen. Die Vorstellung, dass es in der Wissenschaft einen Endpunkt gibt, ist eine Fata Morgana. Das Gleiche gilt für die Literatur.