Ulrike Thimme

Ulrike Thimme

„Ich habe irgendwann verstanden und akzeptiert, dass ich ihn ziehen lassen muss.“

Leserbewertung

Zur Person

25.05.2007, Karlsruhe. Es wird in diesen Tagen viel über die RAF und ihre Mitglieder debattiert und gemutmaßt. Was waren die Motive? Wie soll die Gesellschaft heute mit ihnen umgehen? Wir fragten eine Frau, die wirklich nah dran war: Ulrike Thimme, Mutter des RAF-Terroristen Christian Thimme. In einer ruhigen Seitenstraße, nicht weit von der Innenstadt entfernt, bewohnt Thimme eine Erdgeschosswohnung. Die Einrichtung ist ganz in Weiß gehalten, die Bücherregale reichen bis zur Decke. Ulrike Thimme erzählt freundlich und offen vom Leben und Sterben ihres Sohnes.

Frau Thimme, wie haben Sie die letzten Monate erlebt, als das Thema RAF plötzlich wieder überall präsent war?

Ulrike Thimme: Mich hat das Thema wegen meines Buchs über Johannes (1) ohnehin die ganze Zeit beschäftigt. Schon als das Buch vor drei Jahren erschienen ist, gab es viele Reaktionen. Ich hatte zunächst etwas Angst, dass die Medien über mich herfallen würden, aber das ist nicht geschehen. Das Echo war positiv. Außerdem kamen viele Briefe von Lesern, unter anderem von Müttern, die in den Siebzigern ebenfalls Angst um ihre Kinder hatten. Es haben sich auch junge Menschen gemeldet, die sich für die Aufklärung bedankten, weil sie bis dahin kaum etwas über die Zeit gewusst hatten. Bei ihnen schwang oft ein gewisses Bedauern darüber mit, dass sie selbst sich für nichts einsetzen. Nicht dass sie gerne bei der RAF gewesen wären, aber dieses Gefühl, gemeinsam für etwas zu kämpfen, kennen sie nicht.

Können Sie beantworten, wohin Ihr Sohn Johannes wollte und warum er diesen Weg ging?

Es war allgemein eine sehr politische Zeit, die von den Auseinandersetzungen mit den Eltern und Lehrern über die Nazizeit geprägt war, vom Vietnamkrieg und der Angst vor einem Atomkrieg. Auch das Bewusstsein von der Konsumwelt hier und der Armut in der Dritten Welt spielte eine Rolle. Johannes hatte ein starkes Gerechtigkeitsgefühl. Die Haftbedingungen der ersten Generation der RAF haben ihn schon Anfang der siebziger Jahre beschäftigt, als er mitbekam, wie in Karlsruhe die Rechtsanwälte in Amtstracht dagegen demonstrierten. Aber das Leben ist letztlich von Begegnungen geprägt. Wenn man Freunde hat, die bestimmte Dinge ähnlich sehen, verstärkt sich die eigene Einstellung. Und später war es dann eine Frage der Solidarität, dass man im Gerichtsprozess nicht versuchte, sich zu verteidigen, sondern – abgesehen von einem politischen Rundumschlag als Schlusswort – schwieg. Das habe ich aber damals alles überhaupt nicht begriffen.

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