
Tom McCarthy
„Wir alle sind Teil eines Systems.“
Zur Person
Tom McCarthy, geboren 1969, ist Schriftsteller, Künstler und Generalsekretär der International Necronautical Society, einem semi-fiktiven Avantgarde-Netzwerk. Er ist in London aufgewachsen und lebte Anfang der 90er-Jahre in Prag, wo er unter anderem als Aktmodell und Barmann arbeitete. Auf einer späteren Station in Amsterdam schrieb er Literaturkritiken für die örtliche Ausgabe des Time Out und war Hilfskoch. McCarthys Erstlingswerk „Remainder“ (auf Deutsch: „8 ½ Millionen“) wurde 2001 von den großen Verlagshäusern in Großbritannien abgelehnt, 2006 brachte es der Pariser Kunstverlag Metronome Press heraus. Inzwischen hat McCarthy eine Vielzahl preisgekrönter Essays, Erzählungen und Romane veröffentlicht, die in 25 Sprachen übersetzt und für Kino, Theater und Radio adaptiert wurden. Zuletzt erschien auf Deutsch „Der Dreh von Inkarnation“ (2023) bei Suhrkamp. McCarthy lebt mit seiner Familie in Berlin.
8. April 2025, Berlin. Der britische Schriftsteller Tom McCarthy kommt geradewegs von einem Friseurtermin zum verabredeten Treffpunkt am Prenzlauer Berg in Berlin, wo er seit vielen Jahren lebt. McCarthy schreibt nicht nur Bücher, die mit ganz eigenem Humor unsere technologisierte Gegenwart durchleuchten, er ist auch Künstler und Kurator. Unlängst hat er im Dortmunder U die Ausstellung „Holding Patterns – Warteschleifen und andere Loops“ zusammengestellt – Begriffe, der in seinem Werk eine zentrale Rolle spielen. Im Hinterzimmer des Cafés „Lass uns Freunde bleiben“ erklärt er, was es damit auf sich hat.
Tom McCarthy, was verbinden Sie mit dem Begriff Warteschleife?
Ein Lebensgefühl. Die Warteschleife kommt als Begriff aus der Luftfahrt. Wenn zehn Flugzeuge über einem belebten Flughafen kreisen und nur ein oder zwei Landebahnen zur Verfügung stehen, müssen die Fluglotsen diese Choreografie des Beidrehens und Wartens organisieren. Das erscheint mir beispielhaft für unser menschliches Dasein. Wir stehen in Beziehung zu Systemen, von denen wir Teile sehen können, aber nie das Ganze. Wir verstehen sie nicht, aber wir werden von ihnen kontrolliert, sie lassen uns keine Wahl. Wenn man in einem Flugzeug sitzt, kann man nicht sagen: Ich will nicht in der Warteschleife sein. Wenn man sich in einem Kafka-Roman befindet, kann man nicht sagen: Ich will nicht mehr vor Gericht stehen. Der Prozess geht weiter. Man versteht nur nicht weshalb.
Man kann nicht dagegen protestieren, sich in ein Ungeziefer verwandelt zu haben.
Genau. Diese Wahl haben wir nicht. Auch nicht als normale Bürger außerhalb eines Kafka-Romans. Wenn wir mit unserem Smartphone die Straße entlanggehen, wissen wir, dass unsere Daten getrackt werden, aber nicht, was mit ihnen geschieht. Das alles ist beispielhaft für diese Situation der Angst und gleichzeitig auch der Hoffnung, in der wir uns befinden. Die Technologie macht uns Versprechen, auf die wir hoffen. Wenn wir am Computer sitzen und das Buffern einsetzt, ist das ein Versprechen: Mach dir keine Sorgen, die Datenengel arbeiten hart daran, deine Wünsche zu erfüllen.