Tim Raue

Tim Raue

„Ohne Plan starte ich nicht in einen Tag.“

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  • Jonas Holthaus
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Zur Person

02. Juli 2024, Berlin. Bei der Begrüßung im eigenen Restaurant wirkt Sterne- und Starkoch Tim Raue etwas gestresst. Er habe Jetlag, sagt er, außerdem seit zwei Wochen keinen Tag frei gehabt und heute seit 5 Uhr in der Früh gearbeitet. Wir gehen hoch in sein Büro und setzen uns in eine Couchgruppe, seine Jack-Russell-Hündin Sherley gesellt sich dazu. Kaum läuft das Band, ist Raue voll da und spricht freimütig über Erfolge, die aus Disziplin erwachsen, eine Perfektion, die für ihn alternativlos ist, Stechschritte am Strand – und schließlich höchst offenherzig über Liebe. Die ursprünglich vorgegebene Zeit wird massiv gesprengt: „Fragen Sie weiter, ich habe Open End.“ Gegen Ende des Gesprächs bestellt er in der Küche sein Berliner Vier-Gänge-Menü zur abschließenden Verkostung.

Tim Raue, Ihre Lebensgeschichte vom kriminellen Gang-Mitglied zu einem der 50 besten Sterneköche der Welt wurde ja bereits ausgiebig erzählt. Lassen Sie uns zum Einstieg dennoch dort anknüpfen: Gibt es in der Rückschau eine Lebensphase, die Sie für diesen Weg als besonders prägend wahrgenommen haben?

Das Prägendste war bestimmt das, was ich meistens unterbewusst wahrgenommen habe, und zwar der Umgang mit meinen Großeltern, den Eltern meines Vaters. Mein Großvater hat mir mehr im Gespräch, meine Großmutter stärker in den Handlungen die preußischen Tugenden nähergebracht.

Heißt?

Beide waren unglaublich fleißig. Authentisch. Ehrlich. Gerade. Mein Opa hat Kekse verkauft für Bahlsen, meine Oma war erst Schneiderin, dann Verkäuferin bei C&A. Das heißt, sie gehörten zum absoluten Arbeiter-Milieu, hatten bürgerliche Ansichten und waren durch und durch unspektakulär. Aber gerade in diesem Unspektakulären haben sie eine große Konstanz gelebt. Das ist etwas, was mir erst später, so mit Mitte 20, wirklich bewusst geworden ist: Wie wichtig es ist, diese Grundlagen, eine echte Verwurzelung zu haben. Wenn ich etwa mit meinem Großvater Fußball geschaut habe, hat er mir immer wieder eingebläut, dass es fast noch wichtiger ist, ein guter Verlierer zu sein als ein guter Gewinner. In meiner Jugend konnte mir niemand etwas Literarisches oder Geisteswissenschaftliches näherbringen. Das geht mir durchaus bis heute so, ich bin da relativ immun. (lacht) Von ihnen habe ich einen ganz klaren Kompass mitbekommen, der mir eben auch dadurch, dass ich viel Scheiße gebaut habe und kriminell war, gezeigt hat, dass dieser Weg falsch ist. Bis heute lebe ich Werte, die auf dem fußen, was meine Großeltern mir mitgegeben haben. Es sind die Säulen dessen, was ich mache.

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