
Sophie Hunger
„Wir Europäer müssen ganz schnell in die Gruppenstunde.“
Zur Person
Sophie Hunger (geboren am 31. März 1983 in Bern) ist Tochter der schweizerischen Juristin und Politikerin Myrtha Welti-Hunger und des Diplomaten Philippe Welti. Weil dieser in diversen Ländern tätig war, wuchs sie unter anderem in London, Bonn und Zürich auf. Ihr erstes Album veröffentlichte sie 2006 auf eigene Faust, der Durchbruch gelang ihr zwei Jahre später mit dem Werk „Monday’s Ghost“ – einem Nummer-eins-Hit in der Schweiz. Hunger singt auf Englisch, Französisch, Deutsch und Schweizerdeutsch, für Zeitungen und Magazine schreibt sie Kolumnen. Weil sie schon als Kind und Jugendliche dauernd umzog, hat sie sich auch im Erwachsenenalter für wechselnde Wohnorte entschieden. Sie hat eine Bleibe in Berlin, lebt auch in Zürich und verbringt mit ihrer Familie viel Zeit in einem Dorf in der Schweiz.
26. Februar 2025, Berlin. Sophie Hunger hat Unterschlupf in ihrem Übungsraum in Berlin gefunden. Sie genießt das Ungestörtsein. Seit knapp drei Jahren ist sie Mutter, da sind solche Momente rar. Im Interview geht es um das Alleinsein und das Aufgehen in einer Gruppe, beides Themen ihres ersten Romans „Walzer für Niemand“. Die gebürtige Schweizerin erklärt außerdem, was der Nachwuchs zwischenzeitlich mit ihrer Plattensammlung anstellt und warum eine wilde Autofahrt in Lausanne ihre Karriere beinahe sehr früh beendet hätte.
Sophie Hunger, wer ist dieser Niemand aus Ihrem Roman „Walzer für Niemand“?
Er ist vieles. Einerseits ist er der beste Freund der Protagonistin, der ganz plastische Eigenschaften hat, Lieblingslieder, ein Lieblingsessen, eine bestimmte Art zu gehen, Boxschuhe! Andererseits ist er Niemand. Er weist darauf hin, dass sie alleine ist, weil Niemand bei ihr ist. Eine schöne sprachliche Konstruktion, die in anderen Sprachen noch verschmolzener daherkommt. Im Französischen zum Beispiel, da gibt es eine Person, une personne. Wenn man aber den Artikel weglässt, wird daraus personne – niemand. Grandios.
In der Literatur ist der Niemand kein Unbekannter. Es gibt ihn bei Homer in der „Odyssee“, in der „Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff tritt ein Johannes Niemand auf, eine Art Doppelgänger des Protagonisten oder vielmehr sein verkümmertes Spiegelbild.
Oh, sehr interessant, die „Judenbuche“ kenne ich nicht, das muss ich unbedingt lesen. Ich interessiere mich sehr für solche Figuren mit Doppelgängerfunktion. Der Roman „Der Späher“ von Vladimir Nabokov handelt von einem Typen, der sich umbringen will. Das klappt aber nicht, der Schuss geht nicht los – und er fällt in Ohnmacht. Als er wieder aufwacht, glaubt er, er sei tot. Mit dieser Vorstellung schreitet er dann durch das Tagesgeschehen, im festen Glauben, als Toter die Lebenden auszuspähen. Dabei wird er von allen gesehen.