Roger Waters
„2016 könnte ein Jahr wie 1968 werden.“
Zur Person
Roger Waters, geboren am 6. September 1943, war fünf Monate alt, als sein Vater – ein Bergarbeiter und Sozialist – im Zweiten Weltkrieg fiel. Als Schüler traf er die späteren Pink-Floyd-Mitglieder Syd Barrett und David Gilmour; Nick Mason und Richard Wright lernte er an der Uni in London kennen. Pink Floyd etablierten sich unter der Führung von Roger Waters zu einer der erfolgreichsten Rockbands aller Zeiten. 1985 verließ er nach einem Streit mit Gilmour die Gruppe und widmete sich seiner Solokarriere. Der Streit zwischen Waters und Gilmour ist mittlerweile beigelegt, eine Reunion schließt Waters dennoch aus. Der 72-Jährige ist zum vierten Mal verheiratet, hat drei Kinder und lebt in New York.
05.11.2015, New York. Roger Waters ist in diesen Tagen auf vielen Ebenen politisch aktiv. Er redet vor der Vollversammlung der UN – und beschimpft sie als korrupt. Seine Kritik an der Palästina-Politik des Staates Israel führt zu heftiger Gegenkritik, zuletzt engagierte er sich erfolgreich für die Freilassung des letzten Briten in Guantanamo. Anlass für das Telefoninterview ist die Veröffentlichung einer Konzertdokumentation zur „The Wall“-Tour, die Waters drei Jahre lang um den Globus führte. Doch das Thema Politik ist zu dringlich, um davon mit Promotion abzulenken. Der frühere Pink-Floyd-Frontmann ruft eine Stunde später als vereinbart an. Seine Antworten sind lang, manchmal dozierend. Gelacht wird nicht. Dass er keine Fragen zu einer erneuten Wiedervereinigung von Pink Floyd oder seinem Verhältnis zu David Gilmour beantworten muss, weiß er zu schätzen: „Ich ärgere mich darüber und antworte immer dasselbe.“
Herr Waters, wer Ende der Neunzigerjahre Politik studierte, hat von seinen Professoren gehört, das Zeitalter der Mauern, Grenzen und Nationalstaaten sei vorbei, die Zukunft sei grenzenlos und global. Was halten Sie von dieser These?
Roger Waters: Die Thesen dieser Politikprofessoren werden heute widerlegt. Sie waren wohl zu optimistisch, vielleicht auch zu blauäugig. Viele Menschen haben damals geglaubt, die Welt verändere sich ab jetzt sehr schnell zum Positiven. Der Jahrtausendwechsel wurde von der Hoffnung begleitet, wir stünden vor einer Zukunft ohne Kriege und Grenzen. Heute sehen wir, dass es anders ist.
Was halten Sie von den Forderungen, zum Schutz vor verschiedenen Bedrohungen wieder Mauern und Zäune zu errichten?
Es stimmt, es gibt diese Forderungen. Donald Trump formuliert sie in den USA. Israel baut immer neue Schutzmauern. Der Präsident von Ungarn und andere tun es in Europa. Und auch die Politiker meines Heimatlandes Großbritannien möchten sich abschotten. Mit Blick auf die Flüchtlingssituation ist das beschämend. Abseits der menschlichen Aufgabe, Flüchtenden Schutz zu gewähren, ergibt sich noch ein ganz anderes Problem: Politiker stellen Forderungen auf, die der Realität der Globalisierung komplett widersprechen. Wir wissen, wie leicht Waren den Weg um die ganze Welt finden. Warum sollten wir dann ausgerechnet Menschen vor Mauern stellen? Viele Dinge auf unserer Erde sind sehr zerbrechlich. Die Natur, aber auch die soziale Gerechtigkeit. Man muss vorsichtig mit diesen Dingen umgehen. Doch die Verantwortlichen poltern und verheizen. Nun ist es unsere Aufgabe, endlich lauter dagegen zu protestieren.