
Reinhold Beckmann
„Es wäre fatal, Erinnerung als etwas Museales zu betrachten.“
Zur Person
Reinhold Beckmann (geboren am 23. Februar 1956 in Twistringen) startete seine TV-Karriere in den 1980er Jahren beim WDR. In den 90ern wurde er mit der Fußball-Sendung „ran“ einem großen Publikum bekannt, ab 1999 führte er 15 Jahre lang durch seine eigene ARD-Talkshow. Heute sieht man ihn eher selten vor der Kamera, aber dafür öfter mit Gitarre und Mikrofon auf der Bühne, entweder bei Lesungen oder als Musiker und Sänger. Seit rund 25 Jahren engagiert er sich mit seinem Verein NestWerk e.V. für Hamburger Jugendliche in schwierigen Lebenslagen. Für sein soziales Engagement erhielt er 2008 das Bundesverdienstkreuz. Er ist zweifacher Vater und lebt in Hamburg.
7. März 2025, Hamburg. Reinhold Beckmann erscheint auf dem Bildschirm, es ertönt ein freundlich-entspanntes „Moin“. Dazu passen der dunkelblaue Strickpulli, das blau-weiß gestreifte Marine-T-Shirt und die hellbeige Baseball-Kappe. Man würde ihm sofort das Segelboot vor Nizza anvertrauen, besäße man denn eines. Beckmanns Stimme hätte man auch ohne Bild sofort wiedererkannt, als Sportmoderator und Talkmaster war er im Fernsehen einige Jahre sehr präsent. Doch diese Zeiten sind vorbei, womit wir beim Thema sind: der Vergangenheit. Allerdings geht es im Gespräch nicht um seine locker-launige TV-Ära, sondern um die Zeit des Zweiten Weltkriegs, dessen Ende sich am 8. Mai 2025 zum 80. Mal jährt. Sie lässt den 66-jährigen Musiker, Autor und Produzenten nicht los. Noch nicht.
Reinhold Beckmann, seit anderthalb Jahren reisen Sie durch Deutschland und lesen aus Ihrem Buch „Aenne und ihre Brüder“. Darin erzählen Sie die Geschichte Ihrer Mutter Aenne Beckmann, die im Zweiten Weltkrieg ihre vier Brüder Franz, Hans, Alfons und Willi verlor. Was haben Sie auf diesen mehr als hundert Veranstaltungen erlebt?
Sehr viel Unterschiedliches. Es gab große, auch von der Kriegsgegenwart aufgeladene Lesungen wie beim Literaturfestival in Köln. Voller Saal und offene kölsche Herzen. Und dann gibt es die kleinen, intimen Lesungen wie gestern in einer kleinen Kirche in Heeslingen, einer Gemeinde in Niedersachsen. Da sitzen 150 Leute im Raum und es entsteht eine unglaublich dichte Atmosphäre. Gerade in solchen Momenten spüre ich, dass das Buch die Menschen berührt und etwas in Gang bringt. Sie suchen nach Antworten in ihren Familien und kommen oft mit ihren eigenen Geschichten. Manche sagen mir: „Bei uns wurde nie über den Krieg geredet.“ Zugegeben, ich habe nicht erwartet, dass das Buch auf andere so intensiv zu wirken vermag.
Inwiefern zum Beispiel?
Ich erinnere mich an einen Mann, der nach einer Lesung vor mir stand, mir etwas sagen wollte, dann aber hemmungslos zu weinen begann. Ich bin dann aufgestanden, habe ihn in den Arm genommen und wir schwiegen. Solche Momente gibt es immer wieder. Die Reaktionen sind stark. Sehen Sie (schwenkt die Kamera in Richtung eines langen, mit Büchern, Briefen und Ausdrucken belegten Tisches): Der Verlag und ich bekommen nach wie vor noch sehr viel Post und wir bemühen uns, alles zu beantworten. Hier (zieht einige Blätter unter einem Stapel hervor) ist zum Beispiel jemand, der mir einen achtseitigen handschriftlichen Brief geschrieben hat. Den muss ich noch beantworten.