Rafael Behr

Rafael Behr

„Es gibt keinen Beruf, der so bedürftig nach Zuspruch ist.“

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  • Matthias Oertel
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18. Januar 2021, Hamburg. Rafael Behr hat viel Zeit mitgebracht an diesem Montagnachmittag: Fast drei Stunden dauert das Telefonat mit dem Hamburger Polizeiforscher. Der 62 Jahre alte Soziologe, der früher selbst im Polizeidienst aktiv war, hat sich deutschlandweit einen Namen als kritische Stimme gemacht, die auf problematische Strukturen innerhalb der Polizei hinweist, insbesondere die kaum vorhandene Fehlerkultur. Wir sprechen ausgiebig über die Rolle der Polizei in einer Demokratie, über Gewalt und Autorität – sowie über Gefühle. 

Herr Behr, Sie waren jahrelang Polizist, nun lehren Sie als Soziologe an der Hamburger Polizeiakademie. Polizisten müssen Autorität verkörpern und auch mal hart durchgreifen. Selten wird dabei über die weiche Seite der Staatsmacht gesprochen. Wie emotional geht es bei der Polizei zu?

Natürlich gibt es bei der Polizei, wie überall sonst auch, sensible und weniger sensible Menschen. Aber die Sensibleren haben nur drei Möglichkeiten: Sie bleiben isoliert mit ihrer Haltung, sie gleichen sich an – oder sie verlassen die Polizei. Wobei es natürlich darauf ankommt, wo sie bei der Polizei landen. Wir haben ja eine Zweiteilung der Polizeikultur: Einmal bilden wir in Richtung Kriminalpolizei aus, dort arbeitet man etwas individueller, es gibt nicht so viele kollektiv verbindliche Regeln. Zum anderen bilden wir Schutzpolizisten aus, das sind die Uniformträger. Und diese Welt der Schutzpolizei ist, was Sensibilität oder Emotionalität anbelangt, insgesamt weniger gefühlsdurchlässig. Man sieht das etwa am Umgang mit Supervision. Obwohl der Polizeialltag psychische Härten mit sich bringt, gibt es nur ganz wenige Stellen in der Polizei, die Supervision anbieten, um das Erlebte zu verarbeiten. Das sind in der Regel einige Kommissariate in der Kriminalpolizei. Dem Rest der Polizei ist das eher suspekt.

Warum?

Weil man in der Supervision über das Innere reden muss. Da muss man Worte für Gefühle finden. Und das ist im Berufsfeld Polizei ungewohnt. Unter Kollegen kümmert man sich heute zwar viel besser als früher, und natürlich gibt es auch da psychologische Angebote, die man einfordern kann – aber dort muss man sich vorab erklären oder selbst aktiv werden. Und solange dieses Bild vom Polizisten vorherrscht, den nichts anficht, der keine Schwäche zeigt, solange ist es ein Problem, wenn man jetzt plötzlich sein Herz ausschütten soll.

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