Ottessa Moshfegh

Ottessa Moshfegh

„Ich glaube, dass wir momentan nicht an Utopien interessiert sind.“

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  • Jake Belcher
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Zur Person

18. Januar 2023, Pasadena. Wer mit Ottessa Moshfegh spricht, muss ein wenig Zeit mitbringen. Nach jeder Frage überlegt die US-amerikanische Schriftstellerin so lange, dass man fürchtet, der Bildschirm wäre zwischendurch eingefroren. Wenn sie antwortet, bekommt man einen Eindruck davon, mit welcher Sorgfalt sie ihre Romane komponieren muss. Diese handeln in der Regel von Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs, die gerade deswegen besonders klar zu sehen scheinen. Das Gespräch wird schnell grundsätzlich, denn Moshfegh stellt immer wieder alles infrage. Ob es um das Rauchen geht, um das Prinzip der Religion oder um das Leben an sich.

Ottessa Moshfegh, wenn eines Tages, lange nach dem Ende der menschlichen Zivilisation, Außerirdische auf der Erde landen und durch die zurückgelassenen Artefakte stöbern – werden sie wohl den Unterschied zwischen einem Roman und einem religiösen Text erkennen?

Nun, wenn sie wirklich gar nichts über die Menschen wüssten, könnten sie wahrscheinlich alles für einen religiösen Text halten. Das gilt ja auch umgekehrt: Wenn Menschen einen fremden Planeten besuchen und nichts über die dortige Zivilisation wissen würden, hätten sie vermutlich auch kein Konzept vom Denken und Fühlen der Außerirdischen. Von der Art und Weise, wie sie sich mit ihrer Existenz auseinandersetzen und was ihre Wirklichkeit bestimmt. Was meinen neuen Roman angeht, auf den diese Frage vermutlich abzielt: Ja, man könnte ihn womöglich mit einem religiösen Text verwechseln, aber das wohl vor allem deshalb, weil er sich viel mit Spiritualität beschäftigt.

Dann anders gefragt: Könnten Menschen, die nicht mehr religiös sind, in diesem Buch Parallelen zu religiösen Texten entdecken und den Eindruck bekommen, Sie wollten diese Tradition persiflieren?

Alte Traditionen und die Bedeutung, die sie in unserer heutigen Zeit haben, sind Themen, die mich immer interessiert haben. Ich finde es spannend, wie sich der Sinn dieser Traditionen nach und nach verändert und unter kapitalistischen Gesichtspunkten gewandelt hat. Die Weihnachtszeit finde ich da besonders faszinierend. Sie existiert natürlich ursprünglich aufgrund des religiösen Feiertages, aber die Art und Weise, wie sie hierzulande begangen wird, finde ich bemerkenswert, denn von ihren Ursprüngen ist man mittlerweile sehr weit entfernt. Es gibt Weihnachtsfilme als eigenes Genre, die aber rein gar nichts mehr mit Jesus Christus und seiner Botschaft zu tun haben. Auch der Advent ist nur der Anlass, seine Erwartungen voller Vorfreude hochzuschrauben, so als ob einen am Ende eine fantastische Reise erwarten würde. Diese Vorstellung greife ich in mehreren meiner Romane auf. „Eileen“ spielt in der Weihnachtszeit. Und auch jetzt in „Lapvona“ stellt Weihnachten in verschiedener Hinsicht den Höhepunkt der Geschichte dar. Es ist einfach ein guter Zeitpunkt, um alles für alle einschneidend zu verändern, auch wenn es eigentlich ein willkürliches Datum ist.

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