Michel Abdollahi
„Wir haben nicht das eine Problem bei der Integration, wir haben sehr viele davon.“
Zur Person
Michel Abdollahi (geboren am 20. April 1985 in Teheran) kam im Alter von fünf Jahren nach Deutschland und wuchs in Hamburg auf. Er studierte Jura und Islamwissenschaft an der Universität Hamburg und begann parallel, sich in der Slam Poetry-Szene zu etablieren. Mit der 2005 gegründeten Veranstaltungsreihe „Kampf der Künste“ stieg er zu einer Koryphäe im Poetry Slam auf. Über diese Szene kam er zum Fernsehen, wo er zunächst als Außenreporter für das „Kulturjournal“ des NDR tätig war. 2015 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis für seine im Auftrag von „Panorama“ gedrehte Reportage „Im Nazidorf“. Aktuell sieht man ihn regelmäßig in seinen beiden eigenen NDR-Talk-Formaten „Käpt'ns Dinner“ und „Der deutsche Michel“. Daneben gestaltet er Bilder mit dem Computerprogramm „Microsoft Paint“, übersetzt klassische persische Gedichte und engagiert sich in sozialen Projekten, viele davon im Bereich der Integration.
28. Februar 2020, Hamburg. Der Reporter, Moderator und Conférencier Michel Abdollahi wartet in seinem Büro in St. Pauli mit direktem Blick auf die Große Freiheit. Gleich um die Ecke befindet sich auch das Gruenspan, ein traditionsreicher Hamburger Live-Club, der aktuell die Heimat seiner NDR-Late-Night-Show „Der deutsche Michel“ ist. Sein Anspruch: Unterhaltung mit Haltung – insbesondere mit Blick auf Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Michel Abdollahi bietet Kaltgetränke an, grinst kurz: „Bei solchen längeren Interviews ist es eigentlich selten zu früh für ein Bier, oder?“, winkt dann aber ab, als ihm einfällt: „Ich muss heute Abend noch in die NDR-Talkshow.“
Herr Abdollahi, vor einigen Tagen ist Ihr erstes Sachbuch „Deutschland schafft mich – Als ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin“ erschienen. Dieses „schafft mich“ aus dem Titel: Bezieht sich das eher auf aktuelle Phänomene oder hat Deutschland Sie im Grunde genommen schon immer geschafft?
Es geht um „schaffen“ im Sinne von „anders sein“, im Sinne des Gefühls, nicht dazuzugehören – und das kenne ich seit meinen ersten Minuten in diesem Land.
Das war 1986, Sie waren damals fünf Jahre alt und immigrierten mit einem Teil Ihrer Familie nach Deutschland.
Ja, und niemand hatte mich darauf vorbereitet, was mich erwartete. Ich saß in diesem Flugzeug aus Teheran auf dem Weg nach Frankfurt, und irgendwann zeigte meine Oma neben mir aus dem Fenster und sagte: „Das da unten ist Deutschland. Und gleich am Flughafen wirst du von deinem Onkel abgeholt.“ Kaum war ich angekommen, ging es dann schnell los mit der Eingliederung, inklusive Vorschule. Diese Institution war der absolute Horror: Ich konnte kein Wort Deutsch, sollte aber mit meinen Mitschülern zusammen essen, trinken und die Nachmittage verbringen, während meine Eltern noch nicht in Deutschland waren. Sie können sich sicher vorstellen, dass man dabei sehr schnell das Gefühl entwickeln kann, nicht dazuzugehören.