Martin Walser
„Ohne Lotto bin ich nicht denkbar.“
Zur Person
Martin Walser (geboren am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee) ist Sohn eines Kohlenhändlers und Bahnhofgastronoms, der schon 1938 verstarb. Die Mutter hatte auch dank ihrer frühen NSDAP-Mitgliedschaft (1932) den Betrieb vor dem Konkurs bewahren können. Nach dem Germanistik-Studium arbeitete Walser als Hörfunkredakteur und lernte über die „Gruppe 47“ Literaten wie Günter Grass und Heinrich Böll sowie Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki kennen. „Ehen in Philippsburg“ markierte 1957 seinen Durchbruch. Er besuchte den Frankfurter Auschwitz-Prozess in den 1960er-Jahren. Das Thema beschäftigte ihn fortan, es gipfelte 1998 in seiner Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, in der er vor der Instrumentalisierung der Shoah warnte. Viele verstanden das so, dass er den Juden selbst die Instrumentalisierung vorwerfe. Walser ist seit 1950 mit Käthe Neuner-Jehle verheiratet und Vater von vier Töchtern, Spiegel-Erbe Jakob Augstein hat sich 2005 als sein Sohn offenbart. Er lebt in Nußdorf am Bodensee.
13. Juni 2018, Nußdorf am Bodensee. Martin Walser empfängt in seinem Allerheiligsten: daheim in seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch herrscht aus der Tiefe des Raumes, vom Sessel mit der hohen Rückenlehne schweift der Blick in den Garten, auf ein jahrhundertealtes Eichenspalier. Zwischen den sieben hohen Stämmen schimmert der See. Schwimmen sei er heute nicht gegangen. Gestern ja und morgen wieder. Die Berge auf der Schweizer Seite kann man nur erahnen. Der Tag ist bedeckt und kühl. Wir sprechen über Schönheit, Konkurrenz, Gedenken und Sprache. Und über Personen: Putin und Trump, Jakob Augstein und Martin Walser.
Herr Walser, was ist schön?
Etwas schön zu finden, ist das Hilfreichste und Rettungsmächtigste. Gott sei Dank besitze ich das Talent, etwas schön zu finden. In Nietzsches Geburt der Tragödie heißt es: „Das Dasein der Welt ist nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt.“ Viel später, in „Ein sterbender Mann“, habe ich gesagt: „Mehr als schön ist nichts.“
Beim letzten GALORE-Gespräch vor knapp vier Jahren haben Sie über die Schönheit der Bundeskanzlerin gesprochen. Finden Sie Angela Merkel noch immer schön?
Das mit der Bundeskanzlerin habe ich als Urerlebnis erfahren: Wie schön die Merkel ist, wenn sich in ihrem Gesicht die unvorhersehbaren Gedanken spiegeln... Das ist ja der Unterschied zu Scholz, Schulz und so weiter: Die sagen Sachen, die sie vorher schon wissen, und die Merkel sagt Sachen, die in diesem Augenblick entstehen. Und das ist fundamental schön.