Markus Gabriel

Markus Gabriel

„Wir verwechseln freie Meinungsäußerung oft damit, dass man jeden beleidigen darf.“

Fotos
  • Oliver Hohmann
Leserbewertung

Zur Person

08.11.2014, Bonn. Markus Gabriel sitzt in seinem Büro. Eigentlich hätte das Gespräch am Vortag stattfinden sollen, doch Deutschlands jüngster Philosophieprofessor hat es schlichtweg vergessen. Begründung: Er musste nachdenken – etwas, das er auch im Rahmen dieses Gespräches intensiv tut. Doch wer ihn für einen verschrobenen Denker hält, der täuscht sich. Der Klang seiner Stimme lässt gar keinen anderen Schluss zu: Hier handelt es sich um eine rheinische Frohnatur, die erklärt, was genau ein Philosoph heutzutage macht, denkt und sucht. Bis hin zum Sinn allen Lebens.

Professor Gabriel, das muss man auch erstmal können: Die Welt um sich so sehr zu vergessen, dass selbst Interviewtermine aus dem Bewusstsein verschwinden...

Markus Gabriel: Der Gegenstand, über den ich nachgedacht habe, hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Da könnte auch alles um mich herum einstürzen, ich würde mich davon nicht eine Sekunde lang beeindrucken lassen. (lacht) Als ich im Bett lag, ist mir dann eingefallen, dass wir verabredet waren. Da war es schon nach Mitternacht.

Damit hätten Sie prompt das gängige Klischee vom Philosophen in seinem Elfenbeinturm bedient.

Ich würde den Philosophen nicht als jemanden beschreiben wollen, der sich ausschließlich in sein stilles Kämmerchen zurückzieht. Ein Philosoph ist im Grunde wie ein Kind. Er geht herum und staunt, er stellt in Frage und kann nicht aufhören damit. Alles ist immer wieder neu. Man könnte auch sagen: Er ist wie ein Außerirdischer. Käme beispielsweise ein grünes glitschiges Wesen auf diesen Planeten, und nehmen wir weiter an, es würde sich entschließen, Zug zu fahren, dann würde es sich gewiss wundern über die vielen haarigen Tiere, die in Nischen sitzen und hektisch mit den Fingern über die Oberfläche eines rechteckigen Geräts wischen. Es würde sich fragen, was das eigentlich soll. Und genau das tun Philosophen: Sie nehmen eine Haltung an, mit der sie zunächst einmal alles vergessen, was sie zu wissen glauben, und fangen noch einmal von vorn an. Um es mit dem französischen Philosophen Descartes auszudrücken: „Man sollte zumindest einmal in seinem Leben an allem, woran man sonst glaubt, zweifeln.“

Ab hier lesen nur GALORE-Abonnenten kostenlos weiter! Eines der vielen Abo-Extras.