Kazuo Ishiguro
„Ich entdecke einen gewissen Snobismus im Literaturbetrieb.“
Zur Person
Kazuo Ishiguro kam am 8.11.1954 in Nagasaki zur Welt und wanderte im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie nach England aus, wo er in Guildford in Surrey aufwuchs. Er studierte Englisch und Philosophie und legte anschließend einen Master in Literatur ab. 1982 erschien sein Debütroman „Damals in Nagasaki“, der sich wie der Nachfolger „Der Maler der fließenden Welt“ mit dem Japan nach dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzt. Für seinen dritten Roman „Was vom Tage übrig blieb“ (1989, später mit Anthony Hopkins verfilmt) erhielt er den Booker Prize. Danach schrieb er drei weitere Romane, die zu internationalen Bestsellern wurden. Der bislang letzte, „Alles was wir geben mussten“, erschien 2005 und wurde vom „Time“-Magazine als einer der 100 besten englischsprachigen Romane bezeichnet. Ishiguro lebt mit seiner Frau und einer Tochter in London.
14.09.2015, Berlin. Zehn Jahre ließ der britische Literaturstar und Booker-Prize-Träger seine Leser auf einen neuen Roman warten. Nun erschien „Der begrabene Riese“ und spaltet ein wenig die Literaturszene: Denn Kazuo Ishiguro, bislang bekannt und geschätzt für zwar stark fiktionalisierte, aber doch stets an die Gegenwart angelehnte Romane, nimmt den Leser mit in die Sagenwelt des 5. Jahrhunderts. Im Buch stellt er universelle Fragen nach Erinnern und Vergessen, lässt böse Drachen und alternde Ritter auferstehen. Und doch sei alles, so sagt er, absolut gegenwärtiger Natur. Es überrascht nicht, dass das Gespräch entsprechend philosophisch gerät.
Herr Ishiguro, in Ihrer Karriere haben Sie bereits zahlreiche Genres bedient, sich als Analyst zwischenmenschlicher Dynamiken immer wieder anders ausgedrückt. Daher liegt vielleicht die ganz allgemeine Frage nahe: Was macht einen gelungenen Roman letztlich aus?
Kazuo Ishiguro: Das ist schwer zu sagen. Ich denke beim Schreiben – und auch sonst – nur selten über Fragen nach, die sich damit beschäftigen, wie etwas gut oder gar brillant wird. Ich schreibe stattdessen und schaue, was sich an Schlüssigkeiten ergibt. Ich kann Ihre Frage daher nur aus der Perspektive eines Lesers beantworten, und hier lege ich vor allem Wert auf eine intensive emotionale Dimension. Die Fakten, die Storyline, selbst der Plot der Geschichte: Das ist alles zweitrangig. Möchte ich etwas über Fakten erfahren, greife ich zu diszipliniert gestrafften, nicht-fiktionalen Essays. Die Analyse von Historie oder von gesellschaftlich relevanten Phänomenen finde ich dort, wo ein Fachmann Dinge essayistisch auf den Punkt bringt, am besten konzentriert. Romane hingegen – und das Gleiche gilt auch für Kinobesuche – haben für mich vor allem die Funktion einer emotionalen Reise, eines Ergriffenseins durch glaubwürdig transportierte Gefühle.
Darf man davon ausgehen, dass diese Suche nach einem emotionalen Erlebnis auch den Kern Ihrer eigenen Romane ausmacht?
Ja. Ich möchte dabei aber betonen, dass es nicht vordergründig darum geht, Menschen zum Weinen oder zum Lachen zu bringen; die emotionale Ebene, die mich interessiert, sitzt tiefer. Ich schätze, das lässt sich schon an der Universalität der Emotionen ablesen, die ich in meinen Romanen verhandle. Die Figuren darin finden sich stets konfrontiert mit irgendetwas „Großem“, etwas, das ihr gesamtes Leben betrifft oder beeinflusst. Das Schöne an der Menschheit ist dabei, dass diese Konstellationen weder rar noch konstruiert sind – jeder von uns hat einige dieser großen Dinge, die für sein Leben eine zentrale Rolle spielen. Und hatte sie schon immer, ob vor hundert oder zweitausend Jahren.