Karoline Klemke
„Wir sind alle Täter und Opfer.“
Zur Person
Karoline Klemke wurde 1973 in Berlin geboren und studierte Psychologie. Gleich im ersten Job arbeitete sie mit obdachlosen und gewaltbereiten Jugendlichen, weil es eine der wenigen Stellen war, die angeboten wurden. Sie ist seit über 20 Jahren in der forensischen Psychiatrie tätig und behandelt Schwerkriminelle im Gefängnis und in psychiatrischen Kliniken. Seit 2016 ist sie zudem kriminalprognostische Gutachterin und führt eine eigene psychotherapeutische Praxis in Berlin. Klemke setzt sich unter anderem für einen offeneren Strafvollzug ein, einen Ansatz, den sie mit den wesentlich geringeren Rückfallzahlen entlassener Sicherheitsverwahrter verglichen mit normal Inhaftierten begründet.
03. Februar 2023, Berlin. Karoline Klemkes Wohnung strahlt die unwiderstehliche Gemütlichkeit eines Berliner Altbaus aus und hängt voller interessanter Zeichnungen und Bilder, die sie zum Teil selber gemalt hat. Sie stammt aus einer Künstlerfamilie und hat ihren Beruf als Psychotherapeutin auch deswegen gewählt, weil sie etwas anderes machen wollte. »Worte sind mein Medium«, sagt sie und schließt mit dem Schreiben einer Autofiktion nun doch wieder den Kreis zu ihren künstlerischen Wurzeln.
Karoline Klemke, in der Vorbemerkung Ihres Buches „Totmannalarm“, in dem Sie die Geschichte einer jungen forensischen Psychotherapeutin erzählen, die mental erkrankte Inhaftierte begutachtet und behandelt, schreiben Sie: „Insofern ist kaum etwas wirklich, aber alles ist wahr.“ Brauchten Sie diesen Filter, um das Erlebte erzählbar zu machen?
Ich habe die autofiktionale Form aus zwei Gründen gewählt. Zum einen, um die Schweigepflicht zu respektieren. Ich muss das, was wirklich passiert ist, so verfremden, dass niemand sich wiedererkennt, ich aber trotzdem den Kern meiner Erfahrung mitteilen kann. Zum anderen wollte ich eine gute Geschichte erzählen. Wenn ich die ganze Wahrheit wiedergeben würde, wäre es für den Leser vermutlich zu langwierig, mich seitenweise dabei zu begleiten, wie ich beispielsweise dieselben Fehler immer und immer wieder mache. Deswegen habe ich vieles verdichtet.
Was hat Sie motiviert, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe als Wissenschaftlerin und Gutachterin schon viel verfasst und in dieser Zeit zahlreiche Geschichten aus meinem beruflichen Alltag abends mit Freunden geteilt, auch hier wieder so, dass niemand erkennbar war, ich aber trotzdem erzählen konnte, was mich bewegt. Ein befreundeter Journalist hat dann angeregt, ich solle diese Anekdoten doch für die Zeitung schreiben und auf meinen Einwand, das wäre nicht mein Metier, erwiderte er. „Wer denken kann, kann auch schreiben.“ Dieser Satz war die Saat, aus der das Buch entstanden ist. Außerdem habe ich als Dozentin viel mit Medizin- und Psychologiestudenten zu tun und mir fällt immer dieser ungeheure Leistungsdruck auf, unter dem sie stehen. Deswegen erzählte ich meinen Studierenden gerne über mein eigenes Scheitern. Die Dinge, die beim Lernen von etwas schiefgehen können, bilden auch den roten Faden des Buches.