
Karl Ove Knausgård
„Ewiges Leben? Wäre die Hölle!“
Zur Person
Karl Ove Knausgård (geboren am 6.12.1968 in Oslo) studierte an der Universität in Bergen Literatur und Kunstgeschichte, jobbte als Aushilfslehrer. Seinen eigenen literarischen Ansprüchen genügte er zunächst kaum, obwohl schon seine frühen Romane in Norwegen Preise erhielten. Sein weltweiter Durchbruch gelang 2009 mit den ersten drei Büchern des sechsteiligen autobiografischen Projekts „Min Kamp“ (deutsch: „Mein Kampf“): In „Sterben“, „Lieben“ und „Spielen“ beschrieb Knausgård bis zur Schmerzgrenze genau gegenwärtiges Handeln. Wer die Bücher liebte, konnte davon gar nicht genug bekommen. Drei weitere Bücher der Serie erschienen, das Werk wurde in 30 Sprachen übersetzt, der Autor erhielt weltweit Auszeichnungen. Nach Essays und einem Mehrteiler über die Jahreszeiten erschien jetzt mit „Der Morgenstern“ ein auf den ersten Blick recht konventioneller Roman, der auch Teil einer Reihe sein wird. Karl Ove Knausgård lebt in London.
6. April 2022, Köln. Am Abend liest und diskutiert der Norweger vor Publikum bei einer Veranstaltung der lit.COLOGNE, am Tag gibt er Interviews, raucht, trinkt Kaffee, tippt auf seinem Handy herum. Für einen Bestsellerautor mit einem weltweiten Publikum, das seine Bücher seit der autobiografischen Serie „Min Kamp“ nicht nur liest, sondern verschlingt, wirkt er nahbar und entspannt. Sein neuer Roman „Der Morgenstern“ handelt von einer ominösen Bedrohung am Himmel, einem außergewöhnlich hellen neuen Stern, von dem niemand weiß, ob er für das Gute oder Böse, den Anfang oder das Ende steht. Ein Gespräch über die Uneindeutigkeit der Dinge, die Komplexität des Lebens und den irren Job seines langjährigen Lektors.
Karl Ove Knausgård, wie viele Menschen werde auch ich jeden Morgen von den Radionachrichten geweckt. Lange Zeit war das vergleichsweise harmlos, es ging um Steuerpolitik, Minister-Rücktritte, Handelsbeziehungen. Als Trump im November 2016 zum US-Präsidenten gewählt wurde, änderte sich das. Mittlerweile bestimmen die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder Meldungen zur drohenden Klimakatastrophe die Berichterstattung. Jeden Morgen, wenn der Radiowecker angeht, überlege ich im Halbschlaf: Ist das wirklich alles wahr? Stehen diese News für den „Morgenstern“, der in Ihrem neuen Roman eines Tages plötzlich am Himmel auftaucht?
Ich habe dieses Buch noch vor der Pandemie geschrieben. Als diese dann aber über uns hereinbrach, dachte ich: Der „Morgenstern“ ist ein guter Begriff für das im Grunde Unbeschreibbare, was da gerade vor sich geht. Eine Bedrohung von außen, die uns alle in unsere ursprünglichen Blasen zurückwirft, in unsere Familien. Dieser Roman ist der erste Teil einer Serie von Büchern, die ich plane. Mit der Arbeit am zweiten Teil habe ich während der Lockdowns begonnen, und ungefähr die Hälfte der Geschichte spielt in Russland. In Skandinavien ist der Roman bereits erschienen und natürlich fragen mich die Journalisten dort: Steht der „Morgenstern“ für den Krieg?
Haben Sie etwa Vorahnungen?
Der „Morgenstern“ ist einfach ein Symbol, in das man sehr viel hineinlesen kann.