Juli Zeh
„Die Grundhaltung der Menschen ist leider irre pessimistisch.“
Zur Person
Juli Zeh (geboren am 30. Juni 1974 in Bonn) studierte nach ihrem Abitur Rechtswissenschaften in Passau und Leipzig. 1998 legte sie das beste Jura-Examen in Sachsen ab. Als Schriftstellerin bekannt wurde sie 2001 mit ihrem Debütroman „Adler und Engel“, der mittlerweile in 26 Sprachen übersetzt worden ist. Ihr Buch „Spieltrieb“ wurde 2006 am Hamburger Schauspielhaus dramatisiert, der Bestsellererfolg „Unterleuten“ 2020 verfilmt. Zeh erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den Deutschen Bücherpreis, den Hölderlin-Förderpreis und den Carl-Amery-Literaturpreis. Sie äußert sich regelmäßig zu aktuellen politischen Fragen und engagiert sich als Datenschutzaktivistin und für freie Debattenräume. Im Dezember 2018 wurde Juli Zeh vom Brandenburgischen Landtag zur ehrenamtlichen Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt sie in einem 300-Seelen-Dorf im Havelland.
02. April 2021, im Havelland. Für ihre beiden Kinder ist Ostern wichtiger als Weihnachten. Heute aber, es ist Karfreitag, ist für Juli Zeh und ihre Familie ein Tag wie jeder andere. Die Schriftstellerin sitzt im Dachgeschoss ihres Hauses in ihrem Schlaf- und Arbeitszimmer und schaut aus dem Fenster, über den Garten des Nachbarn hinweg zu der Straße, die zwischen den abgezogenen grünen Feldern liegt. Ab und an spuckt der Horizont ein Auto aus, links und rechts Alleebäume. Der Himmel ist düster, es weht ein starker Wind. „Der nervt“, sagt die Schriftstellerin. Er sei schon seit zwei Wochen da, kaum gehe man vor die Tür, stünden einem die Haare zu Berge. Obwohl sie sich sehr auf das Interview freut, räumt Zeh ein, dass sie pünktlich um 17.30 Uhr Schluss machen muss; sie habe den Kindern versprochen, noch gemeinsam Brötchen zu holen. Ah, der Bäcker hat am Karfreitag offen? „Nein, Bäcker gibt‘s hier nicht, wir fahren zur Tanke“, sagt sie lachend. Auch wenn sich das prollig anhöre.
Juli Zeh, was haben Sie heute falsch gemacht?
Ich habe gerade auf das Handy-Display getatscht, und danach war unser Gespräch abgerissen, obwohl ich das nicht wollte. Vielleicht habe ich eine Zigarette zu viel geraucht. Und die freie Zeit, die ich hatte, nicht gut genug genutzt. Obwohl das Quatsch ist, man muss ja nicht immer den Turbo einschalten, sondern darf auch herumbummeln. Ich bin da nicht so streng mit mir. Wenn Sie mich nicht gefragt hätten, wäre mir das gar nicht aufgefallen. So weit ist das ein unauffälliger Tag.
Wer die Selbstoptimierung zum höchsten Ziel erhoben hat, geht mit sich selbst wenig großzügig um.
Ja, bei vielen Leuten läuft der innere Kritiker immer mit. Als junge Frau war ich auch so. Ich habe unheimlich viel auf mir selbst herumgehackt, auch wegen allerlei unbedeutender Sachen, und damit einen Haufen Zeit vergeudet. Bis ich bemerkt habe: Das macht das Leben nicht unbedingt angenehmer. Also habe ich versucht, mir das abzugewöhnen, und das scheint mir ganz gut gelungen zu sein. Ich habe das Gefühl, dass ich deshalb im gegenwärtigen allgemeinen Optimierungsstreben zurückbleibe, weil ich das bereits hinter mir habe, weil ich den Exzess schon mal ausgelebt und festgestellt habe, dass es nichts bringt.