
Jürgen Trittin
„Nicht die Motive verändern Strukturen von Gesellschaft, sondern das Handeln.“
Zur Person
Jürgen Trittin (geboren am 25. Juli 1954 in Bremen-Vegesack) stammt aus einem bürgerlichen Elternhaus. Sein Vater, der als Waffen-SS-Kämpfer in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, drängte seine Kinder zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Naziverbrechen. Auch deshalb hat sich Jürgen Trittin früh politisch engagiert, unter anderem gegen den Vietnamkrieg. Er studierte Sozialwissenschaft in Göttingen und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni. Politisch organisierte er sich in der linken Szene aus Maoisten, Kommunisten und Hausbesetzern, wirkte an Aktionen der Antiatomkraftbewegung mit. Bis 1980 war er Mitglied des Kommunistischen Bundes, ehe er sich aus links-ökologischen Motiven der neu entstandenen grünen Partei anschloss. Von 1984 bis 1994 war er Landtagsabgeordneter und Minister in Niedersachsen, danach vier Jahre Bundessprecher, von 1998 bis 2005 Bundes-umweltminister in der rot-grünen Regierung von Kanzler Schröder. Von 2005 bis 2024 saß er als Abgeordneter im Bundestag, zeitweise als Fraktionschef der Grünen.
3. September 2024, Berlin. Jürgen Trittin kommt im Anzug und mit dem Fahrrad aus seinem Wohnort in Berlin-Pankow zum Interview in einem Café auf der Straße Unter den Linden. Hier, in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel, hat er Jahrzehnte seines politischen Lebens verbracht. An der Wand des Cafés hängen Schwarz-Weiß-Fotos von Politikern der Bonner Republik wie Willy Brandt und Franz-Josef Strauß. Als politisch interessierter junger Mann ist Trittin mit ihnen groß geworden. Heute zählt er zu den Ehemaligen: Seit Januar ist er kein Mitglied des Bundestags mehr. Zeit für ein Gespräch über ein Leben in der Politik.
Jürgen Trittin, kaum aus dem Berliner Politikbetrieb raus, veröffentlichen Sie eine politische Autobiografie. In »Alles muss anders bleiben« widmen Sie sich einem halben Jahrhundert deutscher Politik.
Ich habe in dem Buch die Themen Demokratie, Gerechtigkeit, Ökologie und globale Lage jeweils aus meiner biografischen Perspektive beschrieben. Es ist ein Kommentar zur Lage aus meiner Sicht, vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus einem Leben von 50 Jahren Politik. Ich war fast 40 Jahre in Parlamenten tätig, davon 25 im Bundestag.
Mit einem großen Bestseller dürfen Sie wohl kaum rechnen: Schon der Buchtitel nimmt allen verunsicherten Bürgern die Hoffnung auf anekdotische Wohlfühllektüre.
Im Gegenteil. Meine Botschaft lautet: Wenn wir ein gutes, sicheres Leben in einer demokratischen Gesellschaft wollen, dann braucht es strukturelle Veränderungen. Dann muss alles anders bleiben. Es spricht von den greifbaren materiellen Vorteilen von Veränderung. So hat die Energiewende 340.000 neue Arbeitsplätze entstehen lassen. Sie macht uns fit in Zukunftsbranchen für den Konkurrenzkampf mit China und den USA. »Alles muss anders bleiben« ist eine Kampfansage an das verlogene Ver-sprechen, dass alles so wird, wie es früher nie war. An die Retroangebote zur Linken wie zur Rechten. So verspricht das Bündnis Sahra Wagenknecht, die 70er- und 80er-Jahre der alten Bundesrepublik wiederbeleben zu können. Die Neoliberalen in Union und FDP wiederum hängen der Idee an, die Krise von heute mit den Rezepten der 90er-Jahre bewältigen zu können, indem man zu Verbrenner, Atomkraft und am besten noch zum Faxgerät zurückkehrt. Ganz zu schweigen von den reaktionäreren Vorstellungen der Faschisten in der AfD, die von einem ethnisch gesäuberten Deutschland träumen.