Jochen Distelmeyer
„Einer ist eine Antwort. Einer kann auch mehrere Antworten sein. Das macht die Sache komplizierter.“
Zur Person
Jochen Distelmeyer wurde 1967 in Bielefeld geboren. Ostwestfalen gelten als liebenswert und stur. Ob diese Charaktereigenschaften nun auf ihn zutreffen oder nicht: Distelmeyer bahnte sich von Anfang an seinen Weg. Zunächst im nahe gelegenen Bad Salzuflen. Hier schloss er sich Mitte der 80er dem Label Fast Weltweit an, auf dem auch Bernd Begemann und Frank Spilker veröffentlichten, und spielte in diversen Bands. Anfang der 90er, bereits in Hamburg zuhause, wurde er schlagartig mit seiner Band Blumfeld berühmt. Distelmeyers Gesang, seine ganze Gestalt, seine Texte und Musik galten als radikaler Neuanfang in der deutschen Musikszene. Fans, Kritiker und Feuilleton waren berauscht. In den kommenden Jahren wurden Blumfeld mit ihrer Musik wahlweise in den Himmel oder sein Pendant geschrieben. Polierte Oberflächen, Denkerpose und doch (fast) immer mit doppeltem Boden: Das führte gerade die Kritiker immer wieder aufs Glatteis. 2007 trennten sich Blumfeld nach dem verrissenen Album „Verbotene Früchte“. Nach diversen Gerüchten über eine Karriere als Schriftsteller wandte sich Distelmeyer wieder der Musik zu und nahm 2009 mit „Heavy“ sein Solo-Debut auf. Distelmeyer lebt und arbeitet in Hamburg.
23.8.2009, Köln. Am heißesten Tag des Jahres bleibt der Fahrstuhl im Mediapark 2 stecken. Nur kurz wähnen sich seine Insassen in der Annahme, es würde nicht weitergehen. Gut so, denn die Zeit mit Jochen Distelmeyer ist begrenzt. Der ehemalige Blumfeld-Sänger wirkt trotz engen Termin-Plans gelöst. Distelmeyer ist ein konzentrierter Gesprächspartner, der zwar oft knapp, aber bestimmt antwortet. Manchmal ist er scheinbar gedanklich so in die Antwort vertieft, dass man meinte, es würde vorerst nicht weitergehen. Doch wie schon der Aufzug des Gebäudes, hebt auch das Gespräch immer wieder an und kreist um das Gefühl ‚Hass’, seine musikalische Herkunft und den Weg zu seinem neuen Selbstverständnis.
Herr Distelmeyer, der erste Song ihres Albums „Heavy“ heißt „Wohin mit dem Hass?“. Welche Qualität hat Hass für Sie: Ein Gefühl, eine Lebenseinstellung, eine Handlung?
Jochen Distelmeyer: Das ist keine Lebenseinstellung. Das ist ein Gefühl. Ob es eine Qualität hat, weiß ich nicht.
In Hass steckt Aggression. Aggression kommt aus dem Lateinischen von ‚aggredere’ – was soviel heißt wie: sich auf etwas zuwenden, an etwas herangehen können. Steckt im Hass auch eine Chance?
(überlegt lange) Chance? Ja, vielleicht. Es macht etwas sichtbar und spürbar. Aber ich weiß nicht, ob Hass grundsätzlich gerichtet ist oder sein muss. Doch, wahrscheinlich ist er auch eine Chance.