Jin Xing
„Tanzen ist für mich der Ausweg aus dem Leben.“
Zur Person
Jin Xing wurde 1967 in Shenyang im Nordosten Chinas geboren. Schon früh begeisterte er sich für Tänzerinnen und Sängerinnen und hegte den Wunsch, genauso zu sein. Mit neun Jahren wurde er ausgesucht für eine Tanzausbildung in einer Militär-Akademie. Dort wurde er gleichzeitig zum Oberst und Tänzer ausgebildet. Mit 17 Jahren erhielt er die Auszeichnung zum ‚Besten Tänzer Chinas’ und kurz darauf die Möglichkeit, in New York Modernen Tanz zu studieren. Hier veränderte sich, unter dem westlichen Einfluss, sein Leben fundamental. Jin Xing begriff, dass sein Wesenskern einer Frau entspricht. Mit 28 Jahren unterzog er sich, mittlerweile auch in China als Tänzer erfolgreich, der ersten offiziellen Geschlechtsumwandlung in der Volksrepublik. Heute ist Jin Xing eine gefeierte Tänzerin, Schauspielerin und Choreografin. Mit dem Wiener Choreografen Chris Haring hat sie das ‚China-Projekt’ entwickelt: eine spielerische Auseinandersetzung mit den schwierigen Fragen nach menschlicher und sexueller Identität in der heutigen Gesellschaft.
18.08.2009, Düsseldorf. Jin Xing ist bereits einige Tage vor ihren Auftritten im Tanzhaus NRW angereist. Das Medieninteresse an ihr ist, wie immer, wenn sie um die Welt reist, dank ihrer einzigartigen Lebensgeschichte sehr groß. Jin Xing ist trotz allem freundlich, ruhig und offen. Ihre Erscheinung ist durchtrainiert, ihr Gestus nicht aufgesetzt, sie reflektiert mit großer Klarheit. Mit einem Wort: Sie wirkt gespannt und gleichzeitig gelassen. Ihre Geschichte von einem vermeintlich unmöglichen Lebensweg, der als Oberst in der chinesischen Armee begann und heute von einer weltweit renommierten Tänzerin berichtet, erzählt sie in der lauten Hotelbar so rasant wie tiefschürfend.
Frau Xing, kommen Sie manchmal durcheinander in Ihrem künstlerischen Schaffen? Schließlich arbeiten Sie als Choreografin, Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin.
Jin Xing: Nein. Ich denke, alle diese Dinge entwickeln sich zur richtigen Zeit und zum richtigen Moment. Zunächst war ich klassischer Tänzer, dann wandte ich mich dem modernen Tanz zu und wurde schließlich zum Choreografen. All diese Erlebnisse haben mich angespornt, Schauspielerin zu werden. Nachdem ich in Film- und Fernsehproduktionen gespielt habe, kam ich auf meinen Kindheitstraum zurück: Sängerin. Ich dachte, meine Stimme lässt es zu, diesen Beruf auszufüllen. Es ist nicht so, dass ich mir an einem Tag sagte, ich möchte jetzt mehrere Berufe ergreifen, und es braucht dann 30 Jahre, bis ich all das bin. Diese Entwicklung sollte lebendig sein und aus sich selbst erwachsen.
Welche der eben genannten Künste schätzen Sie am meisten?
Immer noch das Tanzen. Weil es nicht eine verbale Kommunikation darstellt, sondern weil du deine Körpersprache einsetzt. Eine Sprache und Emotion, die du mit deinem Körper ausdrücken kannst. Dadurch kann man mit der ganzen Welt kommunizieren. Es ist sehr einzigartig und freizügig. Jeder einzelne kann sich übrigens ausdrücken. Ich bin daran gewöhnt, das über den Tanz zu machen. Aber ich kann das auch bei jedem auf der Straße, in seinem Ausdruck, sehen.