Jimmy Nelson
„Ich möchte meine Geschichte teilen.“
Zur Person
James Philip Nelson (geboren 1967 im englischen Sevenoaks in der Grafschaft Kent) ist Sohn eines Geologen, der für eine Erdölfirma in den verschiedensten Teilen der Welt arbeitete. Der Sohn lebte bis zu seinem siebten Lebensjahr bei seinen Eltern, ehe diese ihn auf ein jesuitisches Internat in England schickten. Die traumatischen Erlebnisse aus seiner Zeit dort prägen ihn bis heute. Mit 17 begann er eine Reise durch Tibet, fand dort den Weg in die Fotografie und arbeitete bis Mitte 20 als Fotojournalist. Zu weltweitem Ruhm gelangte er mit seinem Buch „Before They Pass Away“. 2016 gründete er die Jimmy Nelson Foundation, die sich für mehr Respekt, einen besseren kulturellen Austausch und den Erhalt indigener Traditionen und Lebensweisen einsetzt. Nelson lebt in Amsterdam.
Ostseeheilbad Zingst, 24. Mai 2019. Mitten in der Nacht erreichte Jimmy Nelson die Ostseeküste. Als der Akku seines Handys leer war, sei er in der Dunkelheit kurzzeitig orientierungslos und etwas besorgt gewesen, erzählt er. Dabei ist es der britische Fotograf gewohnt, in den tiefsten Regenwäldern und entlegensten Ecken der Erde unterwegs zu sein. Am nächsten Morgen ist Nelson wieder tiefenentspannt und nimmt sich vor dem Interview zwei Stunden Zeit für ein gemeinsames Mittagessen. Schon da hätte das Diktiergerät laufen können, so offen verlief das Gespräch.
Mr. Nelson, Sie sind 51 Jahre alt, durch die Welt gereist sind Sie schon als Kind und Jugendlicher. Sie müssen es also wissen: Wie hat sich die Welt in den vergangenen fünf Jahrzehnten verändert?
Es ist mehr los auf der Welt, und es gibt deutlich mehr Plastik und Verschmutzung. Und dennoch würde ich sagen, dass die Erde ein ruhigerer Ort geworden ist. Sie fühlt sich jedoch durch den unmittelbaren Zugang zu Nachrichten viel sprunghafter und volatiler an.
Man sagt, Reisende sehen die Welt mit anderen Augen. Wann haben Sie diese andere Perspektive eingenommen?
Mit 17. Seither nehme ich vieles bewusster wahr. Irgendetwas sorgte dafür, dass ich eine Verbindung zur Welt suchte, die ich in dieser Form zuletzt als kleines Kind gespürt hatte. Denn zwischen meinem siebten und 17. Lebensjahr passierten einige dramatische Dinge. Mein Vater arbeitete als Expat eines Ölkonzerns und war in unterschiedlichen Ländern tätig. Mit sieben schickten mich meine Eltern auf ein Internat in Nordengland, die nächsten zehn Jahre erlebte ich eine zweigeteilte Kindheit: Die meiste Zeit verbrachte ich im Internat, und für zwei Monate pro Jahr besuchte ich meine Eltern in Afrika, Südostasien, der Pazifikregion oder Südamerika. Ich reiste regelmäßig zwischen zwei Extremen hin und her – von denen mich eines beinahe zerstört hat.