Irina Liebmann
„Wenn der Druck stärker wird, wird die Feindschaft gegenseitig.“
Zur Person
Irina Liebmann wurde am 23.07.1943 in Moskau geboren. Sie ist die Tochter des kommunistischen Emigranten Rudolf Herrnstadt und seiner Frau Valentina, einer russischen Germanistin aus Sibirien. Nach dem Krieg kehrte die Familie 1945 in das zerstörte Berlin zurück, Liebmanns Vater war u.a. als Chefredakteur der Zeitung „Neues Deutschland“ tätig. 1953 wurde Irina Liebmanns Vater wegen seiner Kritik an der SED als „Feind der Partei“ allerdings ins provinzielle Merseburg/Sachsen-Anhalt verbannt. Dort verbrachte Irina Liebmann ihre Kindheit. Nach ihrem Sinologie-Studium in Leipzig kam Liebmann über den Journalismus zum Schreiben: Von 1967 bis 1975 arbeitete sie als Redakteurin der Fachzeitschrift „Deutsche Außenpolitik“. Ab 1975 war sie als freie Autorin in Ost-Berlin tätig, überwiegend für die „Wochenpost“. Daneben machte sie sich mit Hörspielen und Theaterstücken einen Namen als kritische Autorin. 1988 siedelte Liebmann nach West-Berlin über. Ihre Werke (u.a. „In Berlin“, „Das Lied vom Hackeschen Markt“) spielten in der Folgezeit meist in der Mitte von Berlin als Ort deutscher Geschichte und Gegenwart. Für ihre Bücher hat sie zahlreiche Preise erhalten: u.a. den aspekte-Literaturpreis und den Berliner Literaturpreis. Zuletzt erschien 2013 ihre Erzählung „Drei Schritte nach Russland“: Nach über 30 Jahren hat sich Irina Liebmann auf den Weg gemacht, um das neue Russland kennen zu lernen. Irina Liebmann lebt in Berlin und hat zwei Töchter.
15.05.2014, Berlin. Zu Besuch bei der Schriftstellerin Irina Liebmann in ihrer Wohnung in Mitte. Nicht weit von hier verlief die Mauer, die Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges sind der Autorin sehr präsent. Das wird deutlich, sobald wir den Ukraine-Konflikt und die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen thematisieren. Ein Gespräch über das deutsch-russische Verhältnis, die Gefahr eines neuen Kalten Krieges, deutsche Geschichtsvergessenheit, die Wortwahl im aktuellen Konflikt und eigene verletzte Gefühle.
Frau Liebmann, Sie wurden in Moskau geboren und sind nach langer Zeit wieder nach Russland gereist. Ihre Erfahrungen haben Sie in der Erzählung „Drei Schritte nach Russland“ verarbeitet. Welche Eindrücke vom heutigen Russland haben Sie gewonnen?
Irina Liebmann: Ich bin schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Land viel zu vielfältig ist, viel zu sehr im Fluss, als dass man darüber festgeklopfte Ansichten äußern könnte. Aber eines bekommt man sehr stark mit, wenn man in Russland ist: Die Russen fühlen sich als Bewohner eines souveränen Staates. Und das wollen sie auch bleiben.
Was war für Sie der Auslöser, nach 30 Jahren wieder hinzufahren?
Mir war aufgefallen, dass das neue Russland in Deutschland immerzu schlechte Presse hat. Und das habe ich gar nicht verstanden. Deshalb wollte ich mir ein eigenes Bild machen. Das kommt aus meiner Zeit in der DDR, wo in unseren Zeitungen unser eigenes Leben nicht wiederzuerkennen war, beziehungsweise nicht so, wie wir wünschten, dass es dargestellt wird. Damals hat mich schockiert, dass Menschen mir so viele Dinge erzählt haben, von denen ich noch nie gelesen hatte. Seitdem hatte ich den Drang, mir immer die Dinge selbst anzugucken. Das war in Russland genauso.