Heroes

Januar 2017 / Seite 3 von 3

Das ist unter Umständen leichter gesagt als getan. Eldem Turan, eine weitere Gruppenleiterin bei den Heroes, sagt, dass es ironischerweise die unmittelbare Nähe zur Mehrheitsgesellschaft sein kann, die die Frage nach der Identität erschwere, die auf dem Weg zur Eigenverantwortung so wichtig ist. „Es ist nicht so, dass ‚deutsch’ als schlecht empfunden wird“, sagt sie. „Hinter dem Vergleich mit dem Deutschen steckt die Angst, dass man versagt hat, seine eigene Kultur aufrechtzuerhalten und deswegen in diesen anderen Lifestyle reingerutscht ist. Wenn jemand in der Mehrheitsgesellschaft angekommen ist, wird das oft als Ausstieg wahrgenommen, als Zeichen, dass dem Betreffenden die Werte und die Gemeinschaft nicht mehr wichtig sind. Oder es wird umgekehrt als Negativzeugnis angesehen, dass da einer die Seiten wechseln muss, weil er von ‚unseren Leuten’ nicht akzeptiert wird. Beide Welten sind sich immer noch fremd und wir fragen im Grunde nur: Warum habt ihr solche Angst vor der anderen Seite? Wenn man sich für mehr Individualismus ausspricht, heißt das nicht, dass man die Kultur gewechselt hat. Wir versuchen zu vermitteln: Selbst über die ungeschriebenen Gesetze kann man reden.“

Ungeschriebene Gesetze

Jedenfalls meistens. Die Grenzen, an die auch Turan gelegentlich stößt, lassen sich gesamtgesellschaftlich finden. „Ich will es so ausdrücken: Ich weiß auch, wo ich zwei und wo ich zehn Sätze zu meinem Job sage“, sagt sie. „Das geschieht oft auch unbewusst. Auch in der Mehrheitsgesellschaft ist es schließlich nicht immer einfach zu sagen: Ich bin in einem Feminismus-Projekt und setze mich für die Gleichberechtigung ein. Wenn ich an jeder Stelle breittreten würde, wofür oder wogegen ich mich hier einsetze, würde es sicher nicht immer friedlich zugehen. Und deswegen finde ich den Namen Heroes auch sehr berechtigt, denn es erfordert schon Mut, bestimmte Themen anzusprechen. Gleichberechtigung finden alle toll, aber wenn man über seine eigene erlebte Ungleichberechtigung spricht, kommt das schon nicht mehr so gut an.“

Deswegen ist die Offenheit der Diskussion in den Schulklassen, aber auch die Haltung der Heroes so wichtig. Mit Blick auf deren jugendliche Ansprechpartner sagt Martina Krägeloh, dass zwar zunächst anzuerkennen sei, wie jemand zu dem geworden ist, der er ist, und wie dieses Wertekonstrukt zustande gekommen ist. „Es ist aber auch niemandem damit geholfen, wenn man sich aus falsch verstandener Rücksicht oder Vorsicht nicht auch einmischt. Aussagen wie ‚Das ist halt in der Kultur so’ oder ‚Das war vor 50 Jahren hier auch so’ relativieren nichts, werden aber immer wieder so benutzt. Die Vorstellung muss sein, dass alle Menschen über alle Kulturen hinweg gemeinsam Menschenrechtsverletzungen benennen und kritisieren dürfen. Wir erleben nämlich auch, dass gerade Lehrkräfte niemanden verletzen wollen oder sich nicht trauen zu sagen, dass bestimmte Aspekte dieser Kultur zu kritisieren sind. Wir vertreten hier klare Meinungen und haben auch entsprechende Positionen, zum Beispiel, dass Menschenrechte nicht kulturell verhandelbar sind. Aber es ist eine Meinung, von der wir wissen, dass wir sie immer wieder zur Diskussion stellen müssen und dass dieser Diskurs nicht aufhören wird. Das ist ein nicht enden wollender Prozess und letzten Endes auch ein Zeichen einer freien Gesellschaft. Und während es kein Geheimnis ist, dass die Gesamtgesellschaft patriarchalisch strukturiert ist, gibt es auch eine unterschiedliche Dimension, die wir als Projekt benennen dürfen wollen, ohne von der einen oder anderen Seite instrumentalisiert zu werden.“

Genau das hat sich in der Vergangenheit schon als reelle Gefahr herausgestellt. Tatsächlich ist es erstaunlich, wie groß das Medienecho bereits ausgefallen ist, wenn man bedenkt, wie kleinteilig die Kampagne der Heroes eigentlich ist. Ihre große Stärke – nämlich gleichaltrigen Jugendlichen ein niederschwelliges Angebot zu machen, auf dem zunächst einmal offen diskutiert werden kann – scheint dabei zu einer etwas unscharfen Wahrnehmung einzuladen, innerhalb derer man eigene Gewichtungen und Urteile anbringen kann. „Wir müssen beispielsweise immer wieder betonen, dass wir kein Integrationsprojekt sind“, sagt Martina Krägeloh. „Denn dazu müsste man erst einmal klären, wer überhaupt wohinein integriert werden soll – und von wem. Mit dem Begriff tue ich mich schon deshalb schwer, weil für mich die Gesellschaft aus allen besteht, die da sind. Was wir hier machen, ist im Grunde Demokratie: Wir setzen uns mit Themen auseinander und diskutieren Werte. Das ist natürlich insofern integrativ, als dass wir uns als Teil der Gesellschaft engagieren. Genauso hat so ein Prozess sicherlich radikalisierungspräventive Wirkung, aber uns geht es nun mal um die Gleichberechtigung. Wobei uns hier auch schon vorgeworfen wurde, dass wir ein rassistisches Projekt seien und so wahrgenommen werden, als kritisierten wir nur diese eine Kultur.

„Die Einsicht, dass die Meinung anderer eigentlich deren Problem sein sollte, ist zwar da, aber auf der anderen Seite stehen die Strukturen, aus denen das Ausbrechen schwerfällt. Das ist durchaus eine Art Werteknast.“ (Can Alpbek)

Goldsterne für die Guten

Auch in der migrantischen Community wissen viele noch nicht genau, was sie von den Heroes zu halten haben – mal ganz abgesehen von den Vigilanten, die immer das Schild am Eingang entwenden. Can Alpbek zufolge rangieren die Reaktionen von Ablehnung und Belächeln auf der einen bis zu Lob und Unterstützung auf der anderen Seite. Einige befürchten, die Heroes würden mit ihrer Arbeit die Werte und Traditionen ihrer Kultur schlecht darstellen, was durch die offizielle Anerkennung quasi bewiesen werde. Das Bedürfnis, von Politikerseite Goldsterne an das Projekt zu verteilen, kann auf der anderen Seite den altbekannten bürgerlichen Reflex fördern, den Vorzeigemigranten sozusagen gegen den Rest auszuspielen, nach dem Motto: Das sind die Guten, nehmt euch mal ein Beispiel an denen. „Da gehen sehr schnell Schubladen auf“, weiß Martina Krägeloh. „Wir werden auch immer wieder mit Themen in Zusammenhang gebracht, bei denen sich schöne Schwarzweißbilder zeichnen ließen, indem wir etwa als rein muslimisches Projekt angesehen wurden, das sich für Gleichberechtigung einsetzt. Es stimmt zwar, dass der Islam in den Schulklassendiskussionen ein großes Thema ist, aber das macht unsere Jungs nicht zu Aushängeschildern. Viele leben ihren Islam, andere sehen sich als Atheisten. Die meisten Jugendlichen wollen lediglich zeigen: Wir haben mit vielen Werten zu kämpfen, es geht um Anschluss und Stärke. Sie wollen dabei nicht zeigen, dass sie so anders sind, sondern sich nur Gehör verschaffen, einfach weil sie Teil der Gesellschaft sind.“

Nesimi bringt es auf den Punkt: „Mich würde es eher freuen, wenn die Leute uns nicht gut finden, nachdem sie sich mit unseren Zielen auseinandergesetzt haben, als dass sie uns gut finden, ohne das getan zu haben, nur weil sie eine Headline brauchen.“ „Im Grunde geht es immer nur um Ängste“, sagt Eldem Turan, wenn sie die Arbeit der Heroes zusammenfassen soll. „Ängste, in eine Welt einzutreten oder eine andere zu verlassen. Etwas zu verlieren oder von etwas ausgeschlossen zu werden. Und uns geht es darum, diese Ängste zu nehmen. Ich würde mir wünschen, dass unsere Themen in der Gemeinschaft offener angenommen werden. Dass sie auch nicht nur mit der Unterschicht in Verbindung gebracht werden, sondern genauso mit der türkischstämmigen Elite. Auch dort muss sich noch herumsprechen, dass ich durchaus meine Kultur kritisieren kann, ohne dass ich deswegen eine Volksverräterin werde.“ Das geht auch Asmen Ilhan so. Nicht zuletzt, weil er tagtäglich erkennen kann, dass seine Arbeit einen Unterschied und viele Schüler empfänglich dafür macht, sich gedanklich von Traditionshörigkeit, Gruppenzwang und Werteknast freizumachen, ist er gerne ein Gruppenleiter. „Mir ist es wichtig, dass die migrantischen Jugendlichen von der Freiheit und den Möglichkeiten hier profitieren und sich das nicht selbst verwehren oder von ihrer Community verwehren lassen“, sagt er. „Außerdem finde ich, dass liberale und säkulare Werte wichtig sind, um ein gutes Zusammenleben zu gewährleisten, und das ist etwas, das sich auch schon oft genug gezeigt hat. Dazu muss das aber in den Köpfen vertreten werden – es reicht nicht aus, wenn das einfach nur auf dem Papier steht.“

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