Heroes

Januar 2017 / Seite 2 von 3

„Ein Workshop sieht so aus, dass wir direkt in Schulklassen gehen, in der Regel in die Jahrgänge der achten bis zwölften Klassen“, erklärt er. „Wir stellen uns vor und sagen erst einmal nicht viel zu dem Projekt, sondern erwähnen nur das Motto: Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Nach der Vorstellungsrunde steigen wir direkt ein mit der Frage, ob denn auch alle wüssten, was Ehre sei. Da hört man dann oft schon die ersten Kommentare: ‚Na klar.’ Aber wenn wir genauer nachfragen, herrscht meistens Stille. Ehre ist offenbar ein Begriff, der immer im Raum steht und eine wichtige Rolle spielt, ohne für die Jugendlichen greifbar zu sein. Sie können ihn nur schwer definieren. Wir kriegen oft zu hören, dass es etwas ist, das mit der Familie und den Frauen in der Familie zusammenhängt, mit Stolz und mit Würde. An dieser Stelle versuchen wir anzusetzen und die Diskussion auf die spezifischen Themen der Jugendlichen zu lenken. Das kann Gleichberechtigung sein, die familiäre Beziehung untereinander oder wie heute zum Beispiel Homosexualität. Dabei geben wir keine festen Meinungen vor, sondern versuchen das kritische Hinterfragen anhand einiger Beispiele zu fördern. Diese Beispiele sehen so aus, dass wir vier oder fünf Rollenspiele aufführen, die alltägliche Situationen teils überspitzt darstellen, die die Jugendlichen aber alle kennen.“

Hier kommen die Heroes ins Spiel, von denen alle das ausgesprochen lebensechte Rollenspielrepertoire draufhaben, das den Workshops viel von ihrer Anschaulichkeit gibt. Nach deren Aufführung kann man sich lebhaft vorstellen, wie gut die Aktion vor einer Schulklasse ankommen kann. „Da gibt es zum Beispiel die typische Situation, in der der Vater nach Hause kommt und seine Tochter sucht“, erläutert Alpbek. „Er findet aber nur seinen Sohn vor der Playstation und motzt ihn an, warum er seine Schwester nach Anbruch der Dunkelheit nicht suchen geht. Der Junge ruft daraufhin bei einem Freund an. Dieser Kumpel übernimmt dann so ein bisschen die Hetzer-Rolle und redet ihm ins Gewissen: ‚Er hat recht, du bist der Bruder, du musst doch wissen, wo deine Schwester ist.’ Die beiden finden sie schließlich im Einkaufszentrum, und der Bruder versucht, seine Schwester zum Nachhausekommen zu überreden. Die wahre Diskussion spielt sich aber zwischen ihm und seinem Kumpel ab, der währenddessen unablässig sein Pflichtgefühl in Frage stellt.“

„Ehre ist offenbar ein Begriff, der immer im Raum steht und eine wichtige Rolle spielt, ohne für die Jugendlichen greifbar zu sein.“ (Can Alpbek)

Rollenspiele mit ernstem Hintergrund

„In drei von den Rollenspielen gibt es kleine Rollen, die für die Schüler reserviert sind“, sagt Can Alpbek. „Zwei davon sind weibliche Rollen, die wir aber ebenfalls an Jungs vergeben. Der Gedanke dahinter ist, dass wir so das Empathiegefühl wecken wollen. Wenn wir anschließend fragen, wie es für den Jungen war, mal das Mädchen gespielt zu haben, ist etwas Interessantes zu beobachten. Oft sind selbst die, die vorher noch gesagt haben: ‚Klar muss die nach Hause, wenn der Bruder das sagt, ist doch normal!’ die, die hinterher sagen: ‚Ich fand’s scheiße. Ich wurde vor allen bloßgestellt.’ Dazu kommt: Wenn der Junge als Mädchen dasteht und alle zu kichern anfangen, ist das für ihn ebenfalls eine Art von Bloßstellung. Da können sie sich plötzlich gut in die Rolle hineinversetzen und fangen an, darüber nachzudenken, was mit einem passiert, wenn man so behandelt wird.“

„Für die Jugendlichen ist es zunächst einfacher, mit Ihresgleichen über diese Themen zu sprechen“, sagt Yilmaz Atmaca. „Das liegt einerseits am Alter, andererseits daran, dass die Heroes selbst aus einem kulturellen Milieu kommen, in dem sie die Lebensrealitäten der Jugendlichen kennen. Wichtig ist auch, dass eben kein Unterrichtscharakter entsteht. Sie sollen nicht das Gefühl haben, wir wollten ihnen etwas beibringen, sondern eher, dass wir uns mit ihnen unterhalten wollen. Sie sollen sehen, dass es auch Jungs gibt, die kulturell und sozial aus den gleichen Verhältnissen kommen wie sie, die aber Alternativen leben und andere Sichtweisen haben als die traditionellen. Dabei muss man sich klarmachen, dass das alles Jugendliche sind, die sich untereinander schon jahrelang kennen und die auch über die Schullaufbahn hinaus auf Jahre miteinander zu tun haben werden. Die achten also sehr darauf, was es für einen Effekt haben kann, was sie in der Klasse sagen. Denn sie haben unter Umständen eine bestimmte Stellung zu verlieren und wollen nicht als der Verdeutschte dastehen, der alles locker sieht.“

Martina Krägeloh (Mitte) und ihr Team

„Manche Jungen haben so viel Angst, als schwach angesehen zu werden, dass sie sich extra kämpferisch geben anstatt locker drüber zu stehen“, sagt Asmen Ilhan, der im Laufe des Tages auch schon als Gruppenleiter und Diskussionsführer in Erscheinung getreten ist. „Da muss man sich dann immer wieder gegenseitig bestätigen, dass man ein Mann ist. Wenn wir bei unseren Workshops fragen, wie ein Mann und wie eine Frau zu sein hat, kommen dementsprechend Klischees als Antwort: Ein Mann sollte in erster Linie stark sein, autoritär auftreten. Wenn man dann tiefer geht und fragt, ob es denn nicht genauso männlich ist, selbständig zu sein, seinen Weg zu gehen und auf eigenen Beinen zu stehen, stimmen sie auch zu. Das sind nur nicht die ersten Dinge, die ihnen einfallen. Umgekehrt genauso. Bei den Jungs heißt es: Meine Frau sollte schön sein, und sie sollte anständig sein, außerdem soll sie einen guten Charakter haben, nicht nerven oder herumzicken und gut kochen können. In diesen Fragen sind sich die Jungen und die Mädchen relativ schnell einig.“

„Traurigerweise gibt es immer wieder Fälle, in denen die Mädchen explizit sagen, dass sie sich ihrem Mann unterordnen, sich Vorschriften machen lassen wollen“, sagt Koray, ein weiterer Hero. „Das sind dann Mädchen, die versuchen, die bestehenden Strukturen zu nutzen, um sich zu profilieren, um selbst aufzusteigen oder sich anderen Frauen gegenüber zu bewähren. Die denken dann, es käme gut an, wenn man auf der untergeordneten Stellung der Frau beharrt. Auch das sind Klischees, die wir hinterfragen und bei denen schnell eine Unsicherheit deutlich wird. Heute war wieder sehr auffällig, dass die Mädchen viel konservativer waren als die Jungs und teilweise krampfhaft daran festgehalten haben, was die Tradition vorschreibt. Das kommt sehr oft vor, wobei man natürlich dazu sagen muss, dass speziell die Mädchen in dieser Community unter großem Druck stehen.“

„Wir erleben auch, dass gerade Lehrkräfte niemanden verletzen wollen oder sich nicht trauen zu sagen, dass bestimmte Aspekte dieser Kultur zu kritisieren sind. Wir vertreten hier klare Meinungen und haben auch entsprechende Positionen, zum Beispiel, dass Menschenrechte nicht kulturell verhandelbar sind.“ (Martina Krägeloh)

Gefangen im Werteknast

„Man darf aber nicht vergessen, dass das auch für Jungs gilt“, sagt Can Alpbek. „Natürlich ist es nicht so schlimm wie bei den Mädchen, von denen erwartet wird, dass sie direkt nach der Schule wieder nach Hause kommen und da am besten auch gleich bleiben, bis sie heiraten. Aber wir bekommen auch oft mit, dass viele Rollenbilder die Jungen überfordern oder ihrem eigenen Willen zuwiderlaufen. Dass sie aber nicht das Ventil finden, sich in einem Umfeld dagegen zu wehren, in dem es nicht darum geht, was gut für eine Person ist, sondern gut für den Ruf. Hier ist ein Punkt, bei dem wir ebenfalls ansetzen: Warum gibt man so viel auf die Meinung anderer? Die Einsicht, dass die Meinung anderer eigentlich deren Problem sein sollte, ist zwar da, aber auf der anderen Seite stehen die Strukturen, aus denen das Ausbrechen schwerfällt. Man kann sich nicht einfach nach der Situation verhalten, sondern muss bestimmten Vorgaben folgen, die einem keinen Spielraum lassen. Das ist durchaus eine Art Werteknast.“

Asmen Ilhan sagt, dass er sich noch heute manchmal wie bei einem „Privat-Workshop“ fühlt, wenn er solche Themen in seiner eigenen Familie und seinem eigenen Freundeskreis anspricht. Und dass es vielfach Erstaunen hervorruft, wenn er seine Tätigkeit als Fluchthelfer aus diesem Werteknast beschreibt oder die Doppelmoral der Rollenverteilung zur Sprache bringt. „In meiner Community hat man als Junge traditionell ganz andere Privilegien“, sagt er. „Auch das ist etwas, das wir als Heroes zeigen wollen: Dass da Jungen sind, die ihre Privilegien in gewisser Weise aufgeben und sich um ein Miteinander der Geschlechter bemühen. Dieser Effekt hinterlässt in den Klassen oft einen verblüfften, aber positiven Eindruck. Wobei man es natürlich auch als Privileg sehen kann, freiheitlich zu leben.“ Yilmaz Atcama führt aus: „Viele Jugendliche sind an dem Punkt, an dem sie sich fragen: Wenn ich diese oder jene Äußerung gutheiße, wie stehe ich dann meiner Gruppe gegenüber da? Bin ich weiterhin loyal oder nicht? Loyalität spielt in diesem Alter schließlich eine sehr große Rolle. Wir sagen: ‚Wir verlangen nicht von dir, dass du deiner Gruppe gegenüber einen Krieg erklärst. Aber denk mal drüber nach: Auch wir haben alle eine Familie und sind gerne in unserer Gruppe, sprechen gerne unsere Sprache, aber trotzdem gibt es Sachen, die wir nicht akzeptieren. Dafür schauen wir: Was macht mich glücklich? Was sind meine Gefühle?’ Darum geht es letztlich: diese Gefühle wahrzunehmen, sich selbst wahrzunehmen, für sich selbst zu sprechen, Eigenverantwortung wahrzunehmen.“

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