
Heiner Geißler
„Es gibt viel mehr Menschen, die kapitulieren, als Menschen, die scheitern.“
Zur Person
Heiner Geißler wurde am 03. März 1930 im schwäbischen Oberndorf geboren. Geißler besuchte das Jesuitenkolleg in St. Blasien und trat mit 19 Jahren in den Orden ein. Drei Jahre später verließ er die Jesuiten. Der Hauptgrund für seinen Austritt waren die strengen Regeln, die ihm ein Gelübde in Sachen Armut, Keuschheit und Gehorsam auferlegten: „Zwei dieser Gelübde kann ich nicht so gut halten. Es war nicht die Armut.“ Er schrieb sich für Philosophie und Jura ein und studierte in München und Tübingen (Thema seiner Abschlussarbeit: „Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung“). Anfang der Sechziger arbeitete er kurz als Richter am Amtsgericht Stuttgart, danach wandte er sich mehr und mehr der Politik zu. Geißler wurde Leiter des Ministerbüros des baden-württembergischen Arbeits- und Sozialministers. 1965 zog er zum ersten Mal als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Von 1967 bis 1977 machte Geißler als rheinland-pfälzischer Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport immer wieder auf sich aufmerksam und erwarb sich schnell den Rang eines fähigen und visionären Sozialpolitikers, der sich der Pragmatik verpflichtet fühlte. So setzte er dort das bundesweit erste Kindergartengesetz um, förderte Sozialstationen und reformierte das Krankenwesen. In der Bundes-CDU, die die gesamten Siebziger Jahre in der Opposition verbrachte und sowohl programmatisch als auch personell auf der Stelle trat, mehrten sich Stimmen, den scharfen Denker und beherzten Redner stärker in die Partei einzubinden. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl, der Geißler noch aus seiner Zeit als Ministerpräsident in Mainz kannte, schlug ihn 1977 als Generalsekretär der Partei vor. Seit dem Interview ist Geißler zu einem der bedeutendsten überparlamentarischen Kopf aufgestiegen. Gerade in letzter Zeit war von ihm wieder öfter die Rede, unter anderem in seiner Rolle als Vermittler und Schlichter im Rahmen der Verhandlungen über den Bau von Stuttgart 21. Heiner Geißler ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im pfälzischen Gleisweiler, wo er seinen eigenen Wein anbaut. Er ist passionierter Gleitschirmflieger, Bergsteiger und Kletterer.
05.10.2005, Hamburg. Das Hotelzimmer in Blankenese beeindruckt mit unverbautem Elbblick. Heiner Geißler kommt gerade vom Frühstück. Zuerst wird das Sofa verschoben – eine kürzlich erfolgte Operation zwingt ihn zum Stehen, das gesamte Interview über.
Herr Geißler, Sie haben einmal über sich selbst gesagt: „Ich hatte immer ein Problem mit Autoritäten.“ Wie kann ein so ungehorsamer Mensch dennoch Karriere in der Politik machen?
Heiner Geißler: Schlecht. Sehr schlecht. (lacht) Gut, ich habe eigentlich alles erreicht, was man erreichen kann. Ich war Minister, Generalsekretär...
Es gäbe ja noch mehr zu erreichen: Parteivorsitzender. Oder Bundeskanzler.
Ja, aber das ist vorbei.