Hanns-Josef Ortheil
„Man muss den Weg zum Hirn so kurz wie möglich halten.“
Zur Person
Hanns-Josef Ortheil (geboren am 5. November 1951 in Köln) folgte im Alter von drei Jahren dem Beispiel seiner vom Verlust vierer Söhne traumatisierten Mutter und verstummte. Der Vater nahm ihn mit in Gastwirtschaften oder ließ ihn in einer Jagdhütte die Natur beschreiben. Mit acht Jahren kehrte seine Sprache auf allen Ebenen wieder. Es begann eine Laufbahn als Schriftsteller, Journalist, Kritiker und Literaturwissenschaftler mit Stationen in Mainz, Rom, Göttingen, Saint Louis und Paris. Als Dozent unterrichtete er Poetik und Kreatives Schreiben in Paderborn, Bielefeld, Heidelberg, Zürich, Bamberg und Hildesheim, wo er 2003 die erste Professur für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Deutschland erhielt und ab 2009 dem neu gegründeten „Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft“ als Direktor vorstand. Der studierte Pianist und passionierte Eisenbahnlandwirt lebt in Wissen an der Sieg im Westerwald und in Köln.
28. Oktober 2021, Stuttgart. Für Hanns-Josef Ortheil gilt eine Abwandlung des alten Diktums von Descartes. „Scribo ergo sum. Ich schreibe, also bin ich.“ Seit dem achten Lebensjahr vergewissert sich der Schriftsteller seiner selbst täglich durch den Stift. Seine veröffentlichten Werke bilden hierbei nur die glitzernde Oberfläche. Unter ihr erstrecken sich Marianengräben voller weiterer Texte. Ein postoperatives Koma wegen einer Herzinsuffizienz nahm ihm zwischenzeitlich buchstäblich sein Lebenselixier. Am ehemaligen Bahnwärterhaus, in dem er lebt, rattert während des Telefonats der Bodensee-Express vorbei. Es soll der einzige Zug bleiben. Die restliche Zeit über zwitschern im Hintergrund die Vögel, als warteten diese Töne darauf, auch heute von Hanns-Josef Ortheil in Worte übersetzt zu werden.
Hanns-Josef Ortheil, wovon handelte Ihr erster Text?
Das waren Aufzeichnungen über Schnecken und andere kleine Tiere. Neben den Texten hatte ich Bilder aus Kindermagazinen und Naturzeitschriften eingeklebt. Aus den Blättern ist ein Heft entstanden, dem ich ein Titelblatt mit der Aufschrift vorsetzte: „Im Banne der Natur“. (lacht) Ich habe solche Texte auch als Geschenk an meine Eltern verstanden. Einige habe ich zu diesem Zweck gleich mehrfach abgeschrieben und somit von Hand vervielfältigt.
Die Schnecke als erstes literarisches Objekt, das lässt sich kaum besser erfinden. Ihre Texte transportieren seit jeher einen ganz genauen Blick, eine unvergleichliche Sinnlichkeit. Voraussetzungen dafür sind der Mut zur Langsamkeit und die Fähigkeit, sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen.
Es hat mich allein schon angezogen, dass diese Tiere so lange zu beobachten waren. Sie konnten nicht einfach fortlaufen oder wegfliegen. Weinbergschnecken haben zudem eine wunderschöne Form und waren stets ein optisches Ereignis.