Gregor Gysi
„Kleine Männer haben nur verbal eine Chance.“
Zur Person
Gregor Gysi wurde am 16.01.1948 in Berlin geboren. Er absolvierte eine Ausbildung als Rinderzüchter und studierte Jura an der Humboldt-Universität. In der DDR vertrat er als Anwalt unter anderem Regimekritiker wie Rudolf Bahro. 1967 trat er in die SED ein, deren Vorsitzender er 1989 wurde und die wenig später in PDS umbenannt wurde. 2002 wurde er Berliner Bürgermeister und Wirtschaftssenator, drei Jahre später übernahm er mit Oskar Lafontaine den Fraktionsvorsitz der Linkspartei. Bei den vergangenen drei Bundestagswahlen holte er in seinem Wahlkreis Berlin-Köpenick regelmäßig über 40% der Stimmen und zog per Direktmandat in den Bundestag ein. Gregor Gysi ist in zweiter Ehe verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.
22.09.2006, Berlin. Am Freitagnachmittag kehrt Ruhe in den Bundestag ein. Gregor Gysi sitzt in seinem nüchtern eingerichteten Büro und beendet gerade das Diktat. Für das Gespräch nimmt er sich Zeit, nur die anschließende Fotosession wird abgekürzt. Eine Delegation aus El Salvador wartet.
Herr Gysi, Sie haben einmal gesagt: „Alles, was ich beruflich gut kann, hängt mit meiner Fähigkeit zu sprechen zusammen.“ Woher kommt diese?
Gregor Gysi: Ich glaube, das hing damit zusammen, dass mein Vater ein bedeutender Redner war, auch in der Familie. Als Kind hatte ich gar keine Chance gegen ihn, es sei denn, mir fiel etwas Besonderes ein. Um mich gegen ihn durchzusetzen, musste ich verbal sehr gut sein. Hinzu kommt, dass ich relativ kurz geraten bin. Kleine Männer haben nur verbal eine Chance. Für mich war schnell klar: Ich müsste besser reden können als die anderen. In der ersten Klasse wurde ich dann ausgesucht, Filme zu synchronisieren. Da lernte ich andere Sichtweisen der Schauspieler kennen. Ich konnte Filme sehen, in die ich normalerweise nicht hätte gehen dürfen, weil ich noch zu jung war. Letztlich: Wenn man als DDR-Rechtsanwalt in einem Strafverfahren etwas erreichen wollte, musste man doppelt so gut sein wie der Staatsanwalt. Anders hatte man keine Chance.
Kann man eine Kundgebung mit einem Popkonzert vergleichen?
Wahrscheinlich. Ein Popsänger hat ein ähnliches Problem wie ein Politiker: Im Publikum sind immer nur Interessierte. Dort steht nicht der gesellschaftliche Durchschnitt, sondern nur ein Ausschnitt. Zu bestimmten Teilen der Gesellschaft hat auch die Politik keinen Kommunikationsstrang.