Greg Graffin
„Je mehr wir über die materielle Welt lernen, desto kleiner werden die Lücken, in die Gott zurückweichen kann.“
Zur Person
Greg Graffin wurde 1964 in Racine/Wisconsin geboren und gründete bereits im Alter von 15 Jahren die Band Bad Religion, deren melodische Spielart des Punkrock ein ganzes Genre prägte. Der Evolutionsforscher und Doktor der Zoologie lehrt bis heute im Wintersemester an der Cornell University und vertritt in seinen Songtexten wie in seinen Büchern eine auf naturwissenschaftlicher Forschung basierende, fortschreitende Suche nach Erkenntnis und Ethik. Neben 16 Alben mit Bad Religion veröffentlichte Graffin inzwischen schon mehrere Bücher zum Thema Evolutionsbiologie. Er lebt mit seiner Familie im ländlichen Umland New Yorks, dessen Wälder ihm zahlreiche Motive für sein Hobby, die Fotografie, liefern.
22.05.2015, Köln. Der Blick aus der Hotellounge fällt über den Rhein auf den Dom. Der Evolutionsbiologe Greg Graffin ist mit seiner Frau angereist, die beiden bleiben bis Sonntag in der Stadt. Morgen hält er seine Rede auf dem internationalen Atheistentreffen, das unter dem Motto „Give Peace A Chance – Säkularisierung und globale Konflikte“ stattfindet. Gelassen serviert der Wissenschaftler, der zugleich seit über drei Jahrzehnten Sänger der Rockband Bad Religion ist, Kaffee von der Selbstbedienungsbar. Seine Sprechstimme ist die Vertonung behutsamer Überlegtheit.
Herr Graffin, morgen erhalten Sie den Preis des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA). Besuchen Sie den Kölner Dom, wenn Sie in der Stadt sind und falls ja, welche Empfindungen haben Sie dabei?
Greg Graffin: In meinem aktuellen Buch „Population Wars“ widme ich dem Kölner Dom sogar einen ganzen Abschnitt. Ich liebe dieses Gebäude. Architektur, Materialkunde und Design sind Dinge, die mich an diesem Bauwerk faszinieren und inspirieren. Der Kölner Dom bedeutet der gesamten Gemeinde etwas. Nicht bloß der Glaubensgemeinde, sondern auch den Säkularisten, zu denen ich mich zähle. Jeder, der dieses Gebäude betritt, gerät ins Staunen und bekommt einen Sinn für seine Materialien, seine Geschichte und seine Langlebigkeit. Aber das speist sich nicht aus einer religiösen Erzählung, sondern aus einer kulturellen. Kulturgeschichte wiederum basiert auf Wissenschaft, auf Industrie, auf den Fertigkeiten des Menschen. Die Ergriffenheit hat also weltliche Wurzeln.
Sie beschäftigen sich Ihr Leben lang mit der Ausgestaltung eines humanistischen Denkens auf nichtreligiöser Basis. In Ihrer Doktorarbeit untersuchten Sie das Verhältnis von 150 Evolutionsbiologen zum Glauben. Das Ergebnis fassten Sie in Ihrem ersten Buch mit der Bemerkung zusammen, dass Religion „im Kern atheistisch“ sei. Wie ist das zu verstehen?
Das bezieht sich auf die wenigen Biologen aus meiner Umfrage, für die der Glaube tatsächlich eine Bedeutung hat. Ihre Spiritualität fußt vollständig auf der wissenschaftlichen Betrachtung der Welt und nicht auf der religiösen Offenbarung. Das scheint mir insgesamt die gesamtgesellschaftliche Zukunft zu sein. Je mehr die Gesellschaft sich säkularisiert, desto mehr wird der Glaube sich wandeln. Weg von einem klassischen Gottesbild hin zur Faszination für die Naturgesetze. Sollte das passieren, nimmt Gott eine andere Form an. Und im Vergleich zur normalen Theologie ist diese Art von Glaube „atheistisch“.