Gerhard Trabert

Gerhard Trabert

„Wohnungslosigkeit ist eine Form chronischen Suizids.“

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  • Christof Mattes
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26. April 2022, Mainz. Gerhard Trabert hat eine Runde in seinem Arztmobil hinter sich, in dem er seit fast dreißig Jahren wohnungslose Menschen kostenlos medizinisch betreut. Gerade jetzt, im wechselhaften April, in dem sich zarte Frühlingsboten mit Hagelschauern und Kälteeinbrüchen abwechseln, haben er und sein Team besonders viel zu tun. Wo die Knospen sich öffnen, verschließt sich die Politik, lässt sie Hilfen schleifen, weil „der Winter vorbei ist“, angeblich. Anfang dieses Jahres kandidierte der Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie, der als Praktiker vor Ort auch die Situation in nahezu allen globalen Krisengebieten kennt, als parteiloser Kandidat der Linken für die Wahl zum Bundespräsidenten – um auf seine Themen aufmerksam zu machen.

Gerhard Trabert, kürzlich ist mir unter einem Kölner Zubringer ein Zeltlager aufgefallen, das an Bilder von Los Angeles erinnerte. Wird das mehr oder werden wir sensibler, überhaupt darauf zu achten?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe beziffert die Zahl im Jahre 2019 – die Zahlenangaben hinken immer der Aktualität hinterher – auf rund 230.000 wohnungslose Bürger und noch mal 450.000 ohne eigene Wohnung, die zur Gruppe der geflüchteten Menschen zählen. Das sind allerdings Schätzungen. Die momentane Bundesregierung ist die erste, die das Problem mit einer Datenerhebung angehen will, die uns endlich handfeste, evaluierte Zahlen ermöglichen soll. Im vergangenen Jahrzehnt sind die Zahlen sogar sukzessive gesunken, seit den letzten Jahren verzeichnen wir aber wieder einen Anstieg dieser Extremform der Verarmung in Deutschland.

Woran liegt das? An der Pandemie?

Eine große Gruppe unter den Wohnungslosen bilden jene Menschen, die im Rahmen der Freizügigkeit aus dem Armenhaus Europas nach Deutschland kommen: aus Bulgarien, Rumänien, teilweise auch Polen und jetzt immer häufiger Ungarn. Unter Viktor Orbán ist Obdachlosigkeit verboten, dort kommt man in den Knast, wenn man auf der Straße übernachtet. Wer von diesen Zugewanderten keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz findet, und das ist sehr häufig der Fall, hat keinerlei Schutz, ist nicht krankenversichert und hat noch nicht mal einen Anspruch, in einem Heim für Wohnungslose untergebracht zu werden, weil diese Kosten ja ebenfalls die Kommune übernimmt. Mein Verein „Armut und Gesundheit“ und andere NGOs wie die „Ärzte der Welt“ haben aufgrund dieser Situation an die UN und die EU geschrieben und kritisiert, dass es versäumt wurde, ein soziales Netz für in diesem Rahmen zugewanderte Menschen aufzubauen, die keine Arbeit finden.

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