Genevieve Bell
„Es gibt zu viele Ecken in der Gerätelandschaft.“
Zur Person
Genevieve Bell (Jahrgang 1967) verbrachte ihre Kindheit in einer australischen Aborigine-Siedlung, in der ihre Mutter als Anthropologin Feldstudien unternahm. Bell studierte am Stanford-College in den USA und entschied sich nach einem Besuch im Silicon Valley für den Versuch, ihr Wissen bei der Computer-Industrie anzuwenden. 1998 bekam sie einen Job beim Chip-Hersteller Intel, für den sie u.a. Familien in Asien besuchte und ihren Umgang mit digitaler Technik erforschte. 2012 wurde sie in die "Women In Technology International Hall of Fame" aufgenommen. In ihrer knappen Zeit zu Hause lebt Genevieve Bell mit ihrem Lebensgefährten, einem Zimmermann, in der Nähe von Portland/Oregon.
25.11.2005, London. Die Stadt wacht gerade erst auf, doch Genevieve Bell ist schon voller Tatendrang. Die Anthropologin im Hause des Chip-Herstellers Intel bestellt Kaffee in der Hotel-Lobby und erzählt mit entwaffnender Herzlichkeit von ihren in mancherlei Hinsicht verblüffenden Studien.
Mrs. Bell, lange Jahre schien es, als wäre die westliche Popkultur das kulturelle Phänomen mit der größten globalen Strahlkraft. Liest man jedoch ihre Ergebnisse, liegt der Schluss nahe, dass eine Art Technik-Kultur die Vorherrschaft übernommen hat.
Genevieve Bell: Ein interessanter Gedanke, aber er stimmt nur oberflächlich: Egal, ob Sie in Schanghai oder Djakarta aus dem Flugzeug steigen, garantiert sehen Sie dort die gleichen Fassaden: Fastfood-Läden und Softdrink-Flaschen. Was mich als Anthropologin interessiert, sind jene Dinge, die sich hinter der Oberfläche abspielen: die Unterschiede zwischen Zeichen und Sinn. Und diese existieren sowohl in der Popkultur, als auch in der von Ihnen so bezeichneten Technik-Kultur. In Schanghai zum Beispiel besuchen die Jungs mit ihrer Freundin McDonald’s, wenn sie ihrem Schwarm imponieren wollen. Dort sind diese Läden der Inbegriff von Romanik, sie gelten als schick. Serviert werden Reisbällchen in Wachspapier statt Pommes. McDonald’s ist zwar weltweit eine Kette, doch sie hat lokal sehr verschiedene Bedeutungen und Inhalte. Dasselbe lässt sich auch bei technischen Produkten beobachten.
Wer formuliert diese lokalen Differenzen?
Der Mensch – und das sage ich nicht nur, weil ich Anthropologin bin. Das beginnt schon bei den Namen für technische Geräte. Nehmen wir das mobile Telefon: In Europa steht es vor allem dafür, jederzeit erreichbar zu sein. In asiatischen Ländern wie China oder Indonesien dagegen nennt man die Geräte übersetzt ‚Handmaschine’, ganz einfach, weil die Menschen sie zum wichtigsten Gebrauchsgegenstand ihres Alltags erheben.