Freunde fürs Leben

Februar 2018 / Seite 2 von 3

Gibt es ein Beispiel für gelungene Kampagnen zu anderen Themen?

Ja, bei Aids sind wir in der Hinsicht schon ein gutes Stück weitergekommen. Als ich zur Schule ging, wurde nicht über Aids geredet, wir wussten damals kaum etwas über die Krankheit. Meine Mutter hat beispielsweise darauf bestanden, dass ich jedes Jahr einen Aids-Test mache. Nicht weil sie Paranoia hatte, sondern um aufzuklären. Und sie hat darauf bestanden, dass meine Lehrer mit uns darüber reden. Damals dachten wir ja noch, dass wir uns über den Speichel anstecken könnten, wir hatten keine Ahnung. Heute wissen wir viel mehr darüber, auch die Jugendlichen. Ich habe den Eindruck, die reden komplett offen darüber und wissen genau, was zu tun ist. Meine Mutter hat mir erzählt, dass es bei ihr früher beim Thema Krebs ähnlich war, da wurde auch nicht darüber gesprochen. Wenn jemand gestorben ist, dann hat man nicht gesagt, woran. Heute weiß man ziemlich viel über Krebs, und genauso würde ich mir das bei seelischen Erkrankungen wünschen: Es kommt eben auch darauf an, wie man darüber redet. Wir wenden uns zwar an Jugendliche, aber es gibt auch viele Eltern, die unsere Videos gucken und mir dann ganz erstaunt sagen, dass wir das Thema so frei und ohne Angst besprechen. Das stimmt auch, wir haben keine Berührungsängste bei dem Thema.

Ihr Bruder hat sich 1998 das Leben genommen. Konnten Sie damals auch direkt so frei darüber sprechen?

Nach dem Suizid meines Bruders habe ich mir erst mal ein Jahr Auszeit genommen, weil ich trauern musste. Ich wollte für meine Eltern da sein, musste erst mal mit mir selbst klarkommen. Ich hatte mit meinem Bruder zusammengewohnt und wusste, dass er depressiv war. Er hat sich zu einem Zeitpunkt das Leben genommen, als der Therapeut zu uns gesagt hatte, dass alles gut und er über den Berg sei. Mein Bruder meinte damals: „Mir geht es gerade so gut, dass mich allein der Gedanke daran killt, dass es mir wieder schlecht gehen könnte.“ Er hatte große Panik davor, wieder in ein Loch zu fallen. Ich weiß heute, dass er einen Umgang damit gefunden hätte, wenn er die Therapie fortgesetzt hätte.

„Ich glaube, dass man in einer Gesellschaft ohne politische Forderungen nichts verändern kann. Hashtags ohne Konsequenzen bringen nichts.“

Man kann also mit der Krankheit umgehen lernen?

Ja, man kann lernen, was man machen kann, wenn die Schübe kommen. Ich habe inzwischen so viele Gespräche mit Depressiven geführt, dass ich heute weiß, was damals passiert ist. Und ich weiß auch, dass es Lösungen gibt. Wobei das Thema Depression kein Tabu zwischen meinem Bruder, meiner Mutter und mir war. Wir wussten, dass mein Bruder depressiv war und wir haben als Familie Hilfe in Form von Therapien gesucht. Ich konnte und kann immer noch über den Suizid meines Bruders sprechen und meinen Gefühlen nach dem Verlust eines geliebten Menschen Ausdruck geben. Jedoch habe ich damals immer wieder festgestellt, dass andere Menschen nur schwer mit dem Thema Suizid umgehen konnten. Shame one me – ich habe damals sogar ein kleines Experiment gemacht.

Ist das Ziel beim Verdacht einer Depression immer die Therapie?

Nein, das erste Ziel ist immer das Erstgespräch beim Krisendienst oder einer ähnlichen Stelle. Da hat man dann eine Stunde, um gemeinsam zu gucken, was man macht. Wenn die sagen, dass eine Therapie sinnvoll ist, helfen die auch dabei, eine zu bekommen. Unser Ziel ist es immer, die Leute in seelischer Gesundheit zu schulen. Das fängt damit an, dass wir zum Beispiel bei Facebook fragen, was man gegen schlechte Stimmung tun kann. Einige sagen dann vielleicht, dass sie einen Spaziergang machen, andere nehmen diese Idee dann auf, zwei Stunden später fragen sie dann, wie denn der Spaziergang war. Es hilft dann eben nicht die enge Freundin oder der Freund, sondern auch die Stärke der sozialen Medien.

Seite 2 von 3