FIAN

April 2018 / Seite 2 von 3

Das klingt nicht nach einer Erfolgsgeschichte.

Mimkes: Diese Alles-außer-Waffen-Initiative ist in der Tat als Entwicklungshilfe für arme Länder ins Leben gerufen worden: Nur die ärmsten 50 Länder der Welt durften sich daran beteiligen. Doch gerade in diesen Ländern leben 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Da ist es hochproblematisch, wenn diese plötzlich in Konkurrenz zu globalen Agrarkonzernen treten müssen, die ohne weiteres in die ganze Welt exportieren können und ohnehin schon entsprechende Verbindungen haben. Wir haben schon früh angemahnt, dass diese Initiative aus diesen Gründen problematisch ist und als Bumerang zurückkommen wird, doch bis heute wird das von der EU nicht wirklich anerkannt.

Diese Besserwisseraktionen haben Tradition in der Entwicklungshilfe. Wieso haben die Verantwortlichen nicht daraus gelernt?

Herre: Ich finde, das veranschaulicht sich gerade auf völkerrechtlicher Ebene sehr schön am Beispiel der sich im Widerstreit befindlichen Rechtssysteme. Wir haben das internationale Handels- und Investitionsrecht, das sehr scharfe Zähne hat, wenn es darum geht, Akteure und Länder zu bestrafen, die sich nicht daran halten. Daneben haben wir das internationale Menschenrechtssystem, das leider nur sehr weiche Überprüfungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten hat. Ein weiteres grundlegendes Problem ist, dass die Betroffenen selbst nicht zu Wort kommen. Gerade die ländliche Bevölkerung wird seit Jahrhunderten massiv diskriminiert. Und da finde ich es schon absurd, dass beispielsweise La Via Campesina, die mit über 200 Millionen Mitgliedern größte Kleinbauernorganisation der Welt, nicht beteiligt wird, wenn die deutsche Entwicklungshilfe Strategien zur ländlichen Hungerbekämpfung erarbeitet. Auch beim Thema Land Grabbing, das vom ehemaligen Vorsitzenden der Welternährungsorganisation FAO als neofeudale Entwicklung gebrandmarkt wurde, setzen wir darauf, dass besonders diese Menschen vor Ort bei den Politikentscheidungen eine größere Rolle spielen.
Mimkes: Zur Veranschaulichung dazu noch einmal drei Zahlen, die deutlich machen, was auch hierzulande vielfach aus dem Blickwinkel geraten ist, weil ländliche Gegenden und ländli- che Produktionsweisen in unserer städtisch geprägten Vorstellung kaum noch vorkommen: 70 Prozent der Nahrungsmittel auf der Welt werden von Kleinbauern hergestellt, was einmal mehr der Idee widerspricht, dass nur die moderne Landwirtschaft in der Lage wäre, uns zu ernähren. Diese 70 Prozent werden vor Ort produziert und konsumiert und treten nicht in einen globalen Markt ein. Die zweite Zahl: Aktuell sind 2,7 Milliarden Menschen auf der Welt in der Landwirtschaft tätig – so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Landwirtschaft ist also kein Thema von Vorgestern, und das heißt, alle politischen Entscheidungen in puncto Entwicklungshilfe und Handelsabkommen müssen eine menschenrechtliche Perspektive im Blick behalten. Anders ausgedrückt: Was geschieht mit diesen 2,7 Milliarden Menschen, wenn sich die Agrarstruktur ändert, wenn wir einseitig die industrielle Landwirtschaft fördern, in der kaum Menschen arbeiten? Das ist ein sehr zentrales Problem, auf das die Politik keine Antworten gibt. Und als dritte Zahl: Mehr als 50 Prozent der ländlichen Bevölkerung leben auf Land, das auf traditionellen Besitz- und Zugangsrechten basiert. Das heißt, in den meisten Staaten gibt es keine Katasterbehörde, wo Landbefugnisse staatlicherseits eingetragen werden, sondern dort werden sie nach lokalen und traditionellen Rechtssystemen vergeben. Diese Systeme stehen durch die Expansion von großen Agrarstrukturen stark unter Druck – egal, ob wir nach Uganda, Sambia oder Paraguay schauen. Für den Aufbau einer 5.000-Hektar-Plantage muss man schließlich entweder Regenwald roden oder Land akquirieren, auf dem bereits jemand lebt und wirtschaftet.

Inwieweit ist die industrialisierte Landwirtschaft damit ein Sonderfall?

Mimkes: Für die sogenannte westliche Welt ist sie es nicht. Aber das Bestreben, dieses System weltweit zu etablieren, würde die Landwirte in Abhängigkeit bringen, wenn es nur noch zertifiziertes oder patentiertes Saatgut gibt. Auch der Einsatz externer Inputs – Energie, Düngemittel, Pestizide – ist bei dieser Art der von Bayer, Syngenta und Monsanto propagierten Landwirtschaft deutlich höher als das bei den Erzeugerndes Südens der Fall ist. Aus ökologischer Sicht müssten wir ganz anders vorgehen: Wir müssten die Saatgutvielfalt bewahren, die uns vor Klimaschwankungen schützt, und den Einsatz von Energie, Pestiziden und Dünger deutlich reduzieren. Die bestehenden Landwirtschaftsformen des Südens müssten wir eigentlich unterstützen, anstatt sie zu verdrängen. Zu diesem Schluss kommen auch die über 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des offiziellen Weltagrarberichts.

„Allein im Agrarsektor sind ausbeuterische Arbeitsbedingungen oft die Grundlage dafür, dass wir hier billige Lebensmittel konsumieren können.“ Roman Herre

Haben Bayer und Monsanto eigentlich eine Begründung für ihr Handlungsmodell? Oder sind denen die Implikationen egal?

Mimkes: Die Menschen, die bei den Unternehmen arbeiten, sind zunächst einmal meistens Leute wie du und ich. Die stehen nur extrem unter Druck, und die haben auch ganz andere Benchmarks. Es klingt banal, aber ein Unternehmen muss nun einmal Renditeerwartungen erfüllen – und wenn es das nicht tut, dann fällt es dem Wettbewerb zum Opfer, wird aus dem Markt gedrängt und verschwindet. Auf der Bayer-Hauptversammlung hat das der damalige Vorsitzende Manfred Schneider einmal ganz schön auf den Punkt gebracht: „Wir sind auf Profit aus – das ist unser Job.“ Das ist natürlich eine Binsenweisheit, aber er hat sie immerhin mal ausgesprochen. In der Politik wird häufig so getan, als ob alle Probleme gleichberechtigt an runden Tischen angegangen werden sollten. Natürlich ist es nötig, einen Austausch mit der Industrie zu pflegen, aber nicht auf Augenhöhe. Aus menschenrechtlicher Perspektive muss klar sein: Wir haben als Bevölkerung einen Staat gebildet und eine Regierung gewählt, die sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Und das beinhaltet den Schutz vor schädlichen Tätigkeiten Dritter, also auch von Unternehmen. Ich habe hier ein Zitat vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan: „Sowohl die UN als auch die Wirtschaft dienen einem höheren Zweck: dem Schutz der Menschheit.“ Es tut mir leid, aber das ist bestenfalls naiv, das stimmt so nicht. Hier müssen wir klar die Prioritäten benennen: Die Staaten haben als allererste Pflicht die Wahrung der Menschenrechte. Das steht im Artikel 1 des Grundgesetzes, und da gehört es auch hin. Die Gewinnorientierung von Unternehmen steht hierzu in einem dauernden Spannungsverhältnis, welches man auch nicht wegdiskutieren sollte.

Noch ein Zitat: „Die Politik ist die Entertainment- Branche der Wirtschaft.“ Frank Zappa. Und die Frage: Sind diese unterschiedlichen Ziele eigentlich miteinander vereinbar?

Mimkes: Dies kann natürlich zu Konflikten führen. Aber im Grundgesetz wird schließlich kein Wirtschaftssystem vorgegeben, sondern da werden in 19 Artikeln erst einmal die Grundrechte definiert. „Menschenrechte sind die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit der Welt.“ Das kann man besser nicht formulieren. Und daraus resultiert staatlicherseits die Pflicht, Unternehmen nötigenfalls scharf zu regulieren. Oder auch zu verbieten, wenn es gar nicht anders geht.

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