Ferdinand Schmalz

Ferdinand Schmalz

„Nicht umsonst sprechen wir aus demselben Loch, in das wir auch unser Essen reinstopfen.“

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23. Juli 2021, Wien. Der Titel von Ferdinand Schmalz’ Romandebüt bringt etwas Glatteis ins Gehirn, das auch beim Lesen nicht ganz wegschmilzt. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ präsentiert skurrile Figuren, makaberen Humor und eine Sprache, die wie aus einer Wurzel geschnitzt ist. Der Autor sieht anders aus, als man denkt. Ferdinand Schmalz trägt auch in seiner Wohnung Hut, lächelt praktisch permanent und könnte womöglich selbst den Seiten seines Buchs entsprungen sein. Unser Gespräch kreist um Identitäten, die man wechseln kann wie Unterhemden, um den österreichischen Tod und um sein Gegenteil: herzhaftes Essen.

Ferdinand Schmalz, der Journalist Karl Kraus hat mal gesagt: „Das österreichische Leben hat eine Entschädigung: die schöne Leich.“ Wie viel Wahrheit liegt wohl in dem Spruch?

Das trifft auf jeden Fall auf das österreichische Leben selbst zu, aber Wien ist in dieser Hinsicht noch einmal spezieller. Wien ist eine richtige Todeshauptstadt. Man sagt ja auch: Der Wiener kommt nur auf die Welt, um endlich sein Begräbnis planen zu können. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ ist auch deshalb so ein bisschen ein Wien-Buch geworden, weil man hier das Gefühl hat, mehr als an anderen Orten so eine starke, seltsame Beziehung zum Tod zu haben. Das gibt es vielleicht noch in Mexiko, wo sie den Día de los Muertos feiern und auf den Friedhof gehen, um dort mit den Verstorbenen zu essen. Ich habe sogar einen Onkel, der sich, obwohl er erst Mitte Sechzig ist, schon drei Gräber reserviert hat. Wobei ich auch nicht genau weiß, ob er testamentarisch genau festgelegt hat, in welches er dann gelegt wird oder ob der Leichnam aufgeteilt werden soll. Aber es ist den Leuten hier offenbar wirklich wichtig, am Schluss diese berühmte schöne Leiche abzugeben.

Es stimmt also auch, dass man in Wien ein Ehrengrab bekommt, wenn man sich bereit erklärt, seine Organe zu spenden oder seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen?

Das ist so, ja. Ich habe immer gedacht, dass das viele Leute machen, weil man womöglich etwas dafür bezahlt bekommt, aber das stimmt gar nicht. Man zahlt bei der Beerdigung trotzdem drauf, vielleicht wird’s ein bisschen billiger, aber man bekommt dann auf dem Zentralfriedhof tatsächlich eins von den Ehrengräbern. Anscheinend gibt es das in keiner anderen Stadt, dass das so viel gebucht wird. In Wien existiert ein regelrechter Anatomie-Tourismus für Menschen aus aller Herren Länder, in denen eben nicht so viele Leichen zum Sezieren parat sind. Das hat natürlich verschiedene Gründe, auch kulturelle. In manchen Ländern wäre so ein Umgang tabu, aber hier werden unsere frisch gefrorenen Leichen für junge Medizinstudentinnen und -studenten aus der ganzen Welt angeboten, damit sie sie aufschneiden können.

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