
Elke Schilling
„Endlich wird über Einsamkeit im Alter diskutiert.“
Zur Person
Elke Schilling (75 Jahre alt) ist Vorstandsvorsitzende des Vereins Silbernetz und Initiatorin des Projekts. Die Mathematikerin und Organisationsberaterin war zuvor Vorsitzende der SeniorInnenvertretung Berlin Mitte, von 1994 bis 1998 war sie Staatssekretärin für Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt. Das Projekt Silbernetz verwirklichte sie im Anschluss an eine Reise nach London, zu der sie die Lektüre des Krimis „Acid Row“ inspiriert hatte. In diesem Buch schreibt die Autorin Minette Walters über ein Altennetzwerk. In London lernte Schilling auf Vermittlung der Schriftstellerin die Initiative „The Silver Line“ kennen, eine Telefon-Hotline für sich einsam fühlende ältere Menschen. Schnell fand sie nach ihrer Rückkehr Verbündete und baute in Deutschland ihr ähnlich konzipiertes Projekt auf. Sie lebt in Berlin.
Silbernetz e.V.
Der Verein schätzt, dass in Deutschland rund acht Millionen Menschen zwischen 60 und 99 Jahren zumindest teilweise unter Einsamkeit und Isolation leiden. Durch die Pandemie hat sich das Problem noch verschärft. Was, wenn ältere Menschen in Deutschland nicht immer einsamer werden, sondern sich vernetzen, miteinander ins Gespräch kommen, kostenfrei und vertraulich über das Telefon? 2017 startete der Testlauf des Projekts, seitdem haben die Mitarbeiter mehr als 19.000 Gespräche geführt. Die Silbernetz-Hotline ist täglich 14 Stunden rund um die Woche von 8 bis 22 Uhr erreichbar.
Die kostenfreie Nummer: 0800 4 70 80 90
www.silbernetz.org
06. Mai 2020, Berlin. Das Gespräch mit Elke Schilling findet telefonisch statt, für die Gründerin des Vereins Silbernetz e.V. ist der Apparat das tägliche Arbeitsgerät. Die Initiative bietet ein Sorgentelefon für vereinsamte und isolierte ältere Menschen. Schon vor der Corona-Krise war der Bedarf groß, nun ist er noch einmal deutlich gestiegen. Im Interview formuliert Elke Schilling die Hoffnung, dass sich durch die Krise auch einiges zum Guten ändert: Die Gesellschaft erkennt wieder, wie wichtig Kontakte sind, zudem wird endlich über das Thema Einsamkeit im Alter diskutiert. Was sie sich wünscht? Eine bessere Lobby für die ältere Generation – und die Kanzlerin als Verbündete.
Frau Schilling, erkennen Sie bei Ihrem Sorgentelefon einen Corona-Effekt?
Ja, ganz massiv. Mit Beginn des Lockdowns hatten wir viele ältere Menschen am Telefon, die vorher nie daran gedacht hätten, bei Silbernetz anzurufen. Weil sie aktiv gewesen waren, ihre Kontakte gepflegt und sich zu Hause eben nicht isoliert gefühlt haben. Das änderte sich dann auf einen Schlag.
Wie beurteilen Sie die Situation der älteren Menschen, die in Senioren- und Pflegeheimen leben?
Diese Menschen haben auch schon vor Corona häufig bei uns angerufen, weil sie sich in ihren Einrichtungen unverbunden und einsam gefühlt haben. In einem Seniorenheim zu leben, basiert selten auf einer freiwilligen Entscheidung. Hinzu kommt der vorherrschende Zeitmangel der Pflegekräfte, was dazu führt, dass das gegenseitige Kennenlernen nicht wirklich moderiert wird. Dabei wäre das absolut notwendig. So aber erfahren die Menschen dort die Fremdheit. Und wenn man sich fremd in einer Gruppe fühlt, dann ist man verdammt einsam. In der Zeit, als ich selbst noch Besuche in Altenheimen unternommen habe, hat es mich erschüttert, wie kontaktlos und isoliert die Menschen beim Essen nebeneinander am selben Tisch saßen. Ich dachte, da muss sich doch jetzt jemand dazusetzen und versuchen, ein Gespräch mit allen in Gang zu setzen. Aber dafür fehlt in der Regel schlichtweg die Zeit.