Die gute Sache – DeutschPlus e.V.

Januar 2019 / Seite 2 von 2

„Wenn 24 Prozent der Menschen in Deutschland eine Migrationsgeschichte haben, sollte sich das in allen Bereichen widerspiegeln.“

Was unternimmt DeutschPlus konkret zu diesem Zweck?

Schneller: Zunächst einmal möchten wir ein Bewusstsein für die Strukturen schaffen, die es ermöglichen, dass beispielsweise die Führungsetagen immer noch größtenteils von Männern besetzt sind. Wir arbeiten dazu einerseits in Projekten mit Menschen zusammen, die von Diskriminierung betroffen sind, etwa mit migrantischen Jugendlichen, andererseits beraten wir mit unserem Projekt ACT und dem sogenannten Vielfaltscheck Organisationen, die sich interkulturell öffnen möchten. Interkulturelle Öffnung heißt dabei nicht, dass ich Menschen unterschiedlicher Hautfarbe auf mein Werbebanner setze. Es hat stattdessen mit Organisationsstrukturen zu tun, die einem aufgeklärten Verständnis von Diversität Folge leisten und die eben angesprochenen Barrieren abbauen möchten. Was heißt es denn, wenn ich meine Organisation öffnen und tatsächlich Teilhabe fördern möchte? Was muss ich machen, wenn ich die plurale Gesellschaft in meiner Organisation abbilden möchte?

Das heißt, Sie informieren und beraten Organisationen, die den Schritt zum Bewusstsein gemacht haben, im Hinblick auf die nächsten Schritte?

Schneller: Ja. Wenn eine Organisation oder Institution tatsächlich etwas tun und weniger diskriminieren möchte, haben wir Angebote im Haus, über die man sich informieren kann. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist dabei, dass wir immer wieder in den Diskurs darüber kommen, was Diskriminierung heißt. Diskriminiere ich tatsächlich auch? Es geht dabei selten um absichtsvoll diskriminierendes Verhalten und fast immer um Strukturen mit diskriminierenden Effekten. Aber man kann eben auch dagegen etwas tun.

Naghipour: Neben der Organisationsberatung veröffentlichen wir regelmäßig Policy Papers und Impulspapiere und haben – als Gegenbegriff zur so genannten Leitkultur – ein Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft entwickelt. Darin haben wir juristische Herangehensweisen eingeführt, die wir auch auf dem Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin präsentiert haben, gemeinsam mit 49 anderen Migrationsorganisationen. Die Forderungen darin sind sehr konkret und wir haben rechtliche Argumente und Vorschläge zur Gesetzesänderung gemacht, die wir den Verantwortlichen quasi auf dem Silbertablett servieren. Daneben ermächtigen wir im Rahmen unserer Projekte auch migrantische Organisationen selbst. Wir befähigen sie, sich in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext behaupten zu können, unterstützen sie in ihrer Selbstorganisation und Professionalisierung und leisten Rechtshilfe. Im Moment betreuen wir in unserem Projekt Stimmen für Vielfalt zwölf Organisationen ganz konkret in Workshops, damit sie für die von ihnen vertretenen Gruppen ein Sprachrohr sein können. Wir beraten also nicht nur große Organisationen wie Verwaltungen oder die Diakonie, sondern auch kleinere, selbstorganisierte Gruppen.

Ihr Vorsitzender Farhad Dilmaghani spricht in Interviews von einer Einwanderungsverfassung und einem Integrationsvertrag. Was bedeutet das?

Naghipour: Mit dem Stichwort Einwanderungsverfassung ist unsere Forderung angesprochen, Vielfalt als neues Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Das Grundgesetz ist so aufgebaut, dass es sowohl bestimmte Staatsstrukturprinzipien gibt als auch Staatsziele wie das Sozialstaatsprinzip, die die Grundlage des staatlichen Handelns darstellen. Es gibt aber auch Ziele, die erst nach 1949 eingeführt worden sind wie beispielsweise der Umwelt- oder Tierschutz. Das bedeutet, ein Staatsziel wird immer dann eingeführt, wenn es eine gesamtgesellschaftliche Veränderung gibt, die bestimmte Regelungen oder auch die Einführung von bestimmten Institutionen wie einem Ministerium erforderlich macht. Ich habe deshalb das Beispiel Umweltschutz genommen, weil es in den Achtzigern ja wirklich so war, dass das zunehmende Umweltbewusstsein die Einführung eines neuen Staatsziels und daraufhin die Schaffung des Umweltministeriums bewirkt hat. Der Unterschied zwischen einem Ministerium und der Bundesbeauftragten für Integration besteht darin, dass ein Ministerium eigenständig ganz konkrete Gesetzesvorschläge einbringen kann. Die Beauftragte kann das nicht. Sie kann natürlich alles kommentieren und Vorschläge machen und sie macht auch eine sehr wichtige Arbeit, hat dabei aber letztlich mehr eine repräsentative Funktion und nicht die politischen Mittel eines Ministeriums. Einen „Integrationsvertrag für alle“ haben wir 2016 in einem offenen Brief an die Bundesregierung als Alternative zum damals eingeführten, extrem restriktiven Integrationsgesetz gefordert. Statt auf Misstrauen gegenüber Migranten sollte ein solcher Integrationsvertrag auf einem positiven Bekenntnis zur längst alltäglich gelebten Vielfalt fußen. Wir haben neben dem Staatsziel in der Verfassung auch immer wieder gefordert, dass ein neues, modernes Einwanderungsgesetz geschaffen wird, in dem ganz konkret Rechte und Pflichten, aber auch die Möglichkeiten der Einwanderung geregelt sind. Und dass nicht wie derzeit immer noch im Migrationsrecht eher ein Flickenteppich aus lauter Gesetzen besteht, die dauernd erneuert und ergänzt werden, bis alle komplett den Überblick verlieren. Als Anwältin im Migrationsrecht weiß ich aus erster Hand, dass es unglaublich schwer ist, da überall hinterherzulaufen. Wir brauchen stattdessen eine Grundlage, die klar und deutlich ist. Und zwar in einem menschenrechtlich vertretbaren Sinne.

„Förderangebote und Ähnliches sind immer dann richtig konzipiert, wenn sie sich letzten Endes selbst überflüssig machen.“

Sie beziehen sich in Ihrer Arbeit unter anderem auch auf die Frauenbewegung und die politischen Erfolge, die dort erzielt worden sind. Zu den Methoden gehört auch die Frauenquote. Schwebt Ihnen im Kampf gegen Diskriminierung Ähnliches vor?

Schneller: Auch darüber sprechen wir, ja. Aus methodologischer Sicht würde ich immer fragen: Setzt eine Quote an einem Problem an oder nicht? Eigentlich tut sie es ja nicht, denn das Problem liegt ursächlich viel früher. Trotzdem würde ich sagen, dass eine Quote Sinn machen kann, um etwas an der mangelnden Repräsentanz von Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu ändern. Sie müsste aber letzten Endes so konzipiert sein, dass sie auch wirksam die Ursachen angeht. Zur Kenntlichmachung von Handlungsbedarf halte ich Quoten für sinnvoll, denn ohne Zutun wird sich anscheinend nichts verändern – genau wie wir es bei der Frauenquote gesehen haben. Förderangebote und Ähnliches sind immer dann richtig konzipiert, wenn sie sich letzten Endes selbst überflüssig machen.

Nach dieser Logik ist das im Idealfall ja auch bei Ihrer Initiative der Fall.

Schneller: Ja, das kann man so sehen. Man sollte immer mit einem Ideal arbeiten, und unser Organisationsziel muss es demnach sein, dass es uns irgendwann nicht mehr gibt. Wenn wir uns selbst überflüssig gemacht haben, würde das bedeuten, dass wir gut gearbeitet haben. Und genauso sehe ich auch unsere Aufgabe hier. Selbst wenn ich das zu meinen Lebzeiten wohl nicht mehr erlebe.

Stimmt die Auseinandersetzung mit diesem Thema Sie auf lange Sicht trotzdem optimistischer?

Schneller: Hier kann ich nur biografisch antworten. Ich hätte vor 20 Jahren nicht gedacht, dass ich hier sitze und ein Interview zum Thema Diskriminierung gebe. Ich finde, es tut sich gesamtgesellschaftlich und diskursiv sehr viel. Auch wenn meine Biografie kein statistischer Wert ist, finde ich, dass wir heute offener über Dinge sprechen können. Es wäre vor 20 Jahren nicht so einfach gewesen, über Rassismus zu reden und dabei eine einheitliche Sprache zu finden. Ich hätte beispielsweise damals auch nicht von mir gesagt, dass ich Rassismuserfahrungen mache, weil ich das so gar nicht artikulieren konnte. Mit meinem heutigen Verständnis erkenne ich, dass jede und jeder in Deutschland, der/die anders aussieht, anders markiert ist oder andere Familienbiografien hat, Rassismuserfahrungen macht. Aber ich sehe auch, dass wir uns weiterentwickeln. Allein dass es unsere Initiative und viele weitere gibt, halte ich für ein wunderbares Zeichen. Ich sehe sie als Gelegenheit, mehr Leute mit an Bord zu holen und an unseren Ideen zu einer – wie wir es nennen – pluralen Republik mitzuarbeiten. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrheit in diesem Land ein friedliches und partizipatives Miteinander möchte.

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Zur Person

Armaghan Naghipour hat Rechtswissenschaften in Heidelberg, Bangalore und Köln studiert und eine Fremdsprachenausbildung im Französischen Recht an der Universität Heidelberg absolviert. Danach arbeitete sie in der Öffentlichkeitsabteilung des Deutschen Bundestages, schrieb für das Missy Magazine und bot Rechtsberatung für Geflüchtete bei Amnesty International an. Nachdem sie 2016 ihr Rechtsreferendariat am Kammergericht Berlin mit Stationen u.a. beim Auswärtigen Amt und der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York beendet hatte, spezialisierte sie sich als Rechtsanwältin auf das Migrationsrecht und gründete die Regionalgruppe Berlin von Anwältinnen Ohne Grenzen e.V.

Chripa Schneller ist Geschäftsführerin bei DeutschPlus. Seit 2006 ist sie in den Bereichen Internationalisierung und Migration tätig, mit einem Schwerpunkt in (Hochschul-)Bildung. Sie begann ihre berufliche Laufbahn als Policy Officer bei der Academic Corporation Association (ACA) in Brüssel, wo sie einige internationale und EU-Projekte leitete. Nach einer Zeit bei der Asia-Europe Foundation (ASEF) in Singapur, die sie zu Fragen der europäisch-asiatischen Hochschulzusammenarbeit beriet, war sie zuletzt beim UNESCO Institute for Lifelong Learning (UIL) zuständig für Kooperationen mit Universitäten und Projekte für Lebenslanges Lernen und Hochschulen. Aktuell schließt sie ihre Dissertation an der Universität Bremen ab. Darin untersucht sie, was die Ansprache als „Studierende mit Migrationshintergrund“ aus Sicht der damit adressierten Personen bedeutet.

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