Deutschland summt!

März 2018 / Seite 3 von 4

Und weil es größtenteils unbemerkt stattfindet. An weniger Mückenstiche im Sommer gewöhnt man sich schnell, an selbstbefruchtete und weniger genießbare Früchte, wie sie ohne die Arbeit der Bienen an Sträuchern hängen würden, nur langsam. Die Wirtschaftsleistung der sprichwörtlich fleißigen Bienen als Bestäuberinsekten wird alleine für Deutschland mit etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr angegeben – an dritter Stelle hinter Kühen und Schweinen, die wiederum in erster Linie als Nahrungsmittellieferanten veranschlagt werden. Es ist eine hohe und seltsam kalte Zahl – ein Preisschild auf etwas eigentlich Unverkäuflichem. Statt sich in Zynismus zu üben, erzählen Hölzer und Hemmer allerdings lieber von ihrer Initiative, die beste Chancen hat, ein Problem mit vielen Händen an der Wurzel zu packen. „Wir sind ja eine Kommunikationsstiftung und versuchen, gute Kommunikation zu machen“, sagt die Biologin. „Man muss die Leute da abholen, wo sie stehen, wie man so schön sagt.“

Einmal abgeholt, haben sich zunächst einmal die Imker „ein Loch in den Bauch gefreut“, als sie ihre Bienen auf den Promigebäuden aufstellen durften. Weil Honigbienen bei ihren Flügen einen Radius von drei bis maximal sieben Kilometern haben, fällt es ihnen nicht schwer, beispielsweise vom Berliner Dom aus in den Tiergarten zu fliegen, dort Nahrung zu suchen und auf dem Rückweg noch mal schnell bei den Blüten Unter den Linden nach dem Rechten zu schauen. Auch die hoch gelegenen Standorte stellten sich als unproblematisch heraus. Um die 26-Meter-Traufhöhe des Doms zu erreichen, lassen sich die Bienen von den Aufwinden um das Gebäude herum bequem nach oben treiben. Die Honigerträge waren bisher ebenfalls verblüffend ergiebig, doch noch größer dürfte auf Dauer die Signalwirkung der publicityträchtigen Kampagne gewesen sein. „Unsere Initiative setzt sich für biologische Vielfalt ein“, sagt Cornelis Hemmer. „Und dafür, dass die Erkenntnis reift, dass jeder da, wo er steht – privat oder beruflich –, einen Beitrag dazu leisten kann. Egal ob man einen Garten oder einen Balkon hat, sich für Urban Gardening interessiert oder bloß eine Baumscheibe begrünen will. Wir möchten informieren, inspirieren, mobilisieren – und zwar auf dreifache Art. Direkt, indem man seinen Garten im Geiste des Nachhaltigkeitsgedankens nutzt, oder indirekt, indem man zum Beispiel seinen Chef fragt, ob man nicht etwa an Brachstellen auf dem Firmengelände tätig werden könnte. Und drittens kann man ein Multiplikator sein, der andere inspiriert. Und da sind wir dann bei unseren Städtepartnern.“

Think global, act local

Damit aus „Berlin summt!“ nach und nach „Deutschland summt!“ wird, haben sich Hölzer, Hemmer und ihre Partner zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das individuellen und dezentralen Akteuren und Gruppierungen dabei hilft, „eine Stadt basierend auf guter fachlicher Praxis zum Summen zu bringen. Wir betreuen Vernetzungsworkshops vor Ort oder liefern Informationen. Zum Beispiel, welche Samen man braucht, um eine gute Blumenwiese anzulegen, oder wie eine Wildbienenbehausung aufgebaut werden muss, um auch wirklich angenommen zu werden.“ Hier beobachtet die Initiative im Moment über das gesamte Bundesgebiet einen riesigen Zulauf. Nach Berlin gründeten sich Bienenhelferinitiativen in München, Hamburg, Frankfurt am Main und Hannover sowie in zahlreichen anderen Gemeinden, Städten und Landkreisen, darunter Ingolstadt, Schweinfurt, Aschaffenburg und die Region Lüneburg. Aktuell sind es insgesamt 22. „Als Dortmunderin freut es mich, dass aktuell viel Interesse aus NRW kommt“, sagt Hölzer, die gleichzeitig den flexiblen Ansatz der Aktion betont. „Das sind immer Vorort-Initiativen, bei denen jeweils verschiedene Akteure in unterschiedlicher und passender Form eingebunden werden. Wir versuchen mit unserer Initiative, die Leute beim Einsatz vor Ort dazu zu befähigen, wieder andere zu mobilisieren.“

„Wenn man die Leute einmal am Haken hat, lechzen sie nach mehr Information, wie sie ihre Gärten bienenfreundlich gestalten können.“ Dr. Corinna Hölzer

In Ebersberg schlossen sich gleich 20 Kommunen im Zeichen der Biene zusammen, weil der neue Landrat ein Herz für die biologische Vielfalt hatte und seine Kommunen in das Netzwerk einlud. In Eichstätt trat der Regens des dortigen Priesterseminars als Schirmherr in Erscheinung, anderswo waren Bürgermeister, Kleingärtner, Hochschullehrer, Mitarbeiter von Landschaftspflegeverbänden und Unternehmen vor Ort im Einsatz, ganz zu schweigen von den zuverlässigen Imkern. „Wir bekommen nahezu jeden Tag Anrufe oder E-Mails von Menschen und Organisationen, die mitsummen wollen, weil sie spüren, dass sie trotz der vermeintlichen Kleinteiligkeit der Aktion die Macht haben, Communities zu bilden, sich gegenseitig zu verstärken und etwas zu verändern“, sagt die Biologin. Bei Interesse setzt sie mit ihrer Initiative dann eine Kooperationsvereinbarung auf, liefert Kommunikationsmaterialien, eine Internetseite samt Maskottchen sowie weitere identifikationsstiftende Maßnahmen, die es „den Kümmerern vor Ort relativ leicht machen sollen, an den Start zu gehen.“ Dass die Initiative besonders in Städten so gut angenommen wird, ist für Corinna Hölzer auch ein kritischer Punkt. „Die Stadt-Land-Beziehung war uns von Anfang an wichtig“, sagt sie. „Denn die Stadtbewohner sind teilweise so weit weg von der Natur, dass sie eine verklärte Vorstellung davon haben, was auf dem Land passiert. Mittlerweile ist die Situation in der Stadt für die Bienen teilweise schon lebenswerter als auf dem Land mit all dem industriellen Ackerbau und den riesigen Monokulturen. Doch weil die meisten Menschen in Deutschland nun einmal in Städten leben, versuchen wir, diesen Leuten nahezubringen, dass ihr Arm sehr lang aufs Land hineinreicht. An der Lebensmitteltheke beispielsweise können sie jeden Tag entscheiden, ob sie sich für Bienen auf dem Land einsetzen und wie sie morgen leben wollen.“

Ein weiteres konkretes Ziel von „Deutschland summt!“ ist der Einsatz für biodiverse Gärten – eine Aufklärungsarbeit, die bei den klassischen Kleingärtnern auch eine ästhetische Komponente haben kann. Hölzer und Hemmer können sich an einen Gartenwettbewerb erinnern, bei dem sie der Besitzerin eines eher ungezähmten Gartens aufs Siegertreppchen verholfen haben, zum Entsetzen des Kleingartenvorstands. „Die Frau wurde vom Rest der Kleingartenkolonie fast weggeklagt und musste richtig um ihren Garten kämpfen“, sagt die Biologin und schmunzelt. „Als die dann von uns ausgezeichnet worden ist, hat das zuerst für Furore gesorgt und dann dazu, dass ihre Nachbarn, die seit Jahren sechzig Zentimeter tiefe Glasscheiben an der Gartengrenze in den Boden gelassen hatten, weil sie Angst vor Wurzelunkräutern hatten, mit der Prämierten zumindest respektvollen Kontakt aufnahmen und sie nicht mehr bekämpften.“

Inzwischen hat hier ein Umdenken begonnen. „Die bienen- und insektenfreundlichen Gärten sind nicht die, die möglichst reglementiert, kahlgeschoren und unter Dünger- und Pestizideinsatz gefügig und ‚hübsch’ gemacht werden, sondern die artenreichsten“, sagt Cornelis Hemmer. „Wenn man noch einmal die 584 Wildbienenarten nimmt, die stellvertretend für die vielen Tausend Insektenarten in Deutschland stehen, und bedenkt, dass fast jede Bienenart eigentlich eine andere Pflanzengruppe zum Leben braucht, liegt das natürlich auf der Hand. Insbesondere Wildbienen sind in hohem Maße an verschiedene einzelne Pflanzenarten gebunden. Nicht allen schmeckt die Mohnblume, die Kornblume oder die Glockenblume. Und wenn die Glockenblume im Garten fehlt, kommt die dazugehörige Glockenblumen-Sägehornbiene eben auch nicht vor. Wenn man dann noch weiß, dass unsere heimischen Bienen eher mit einheimischen als mit fremdländischen Pflanzen zurechtkommen, ist das ein weiterer Hinweis auf eine standortangepasste Bepflanzung. Bei einigen exotischen Pflanzen liegt beispielsweise der Kelch oft so tief, dass unsere einheimischen Bienen mit ihrem Rüssel gar nicht zum Nektargrund gelangen. In nächster Konsequenz müssen also auch Baumärkte dazu gebracht werden, Samen und Stauden aus der Region zu verkaufen, denn vor allem die hier heimischen Pflanzenarten können den hier ansässigen Insektenarten als optimale Nahrungsgrundlage dienen. Aktuell ist das nicht der Fall, und die Baumarkt-Angebote beinhalten häufig Saatgut aus Osteuropa oder den USA.“

An dieser Stelle wird wiederholt deutlich, wo der etablierte „Think global – act local“-Gedanke immer wieder ansetzen muss. Während die Warenauswahl in Deutschlands Supermärkten immer größer wird, wird die Biodiversität draußen vor der Tür immer geringer. Beides hat nicht nur ökologische und wirtschaftliche Komponenten, sondern auch eine gesellschaftliche und lebensanschauliche Ebene. „Über die Stärkung der biologischen Vielfalt läuft letztlich auch eine Stärkung von kommunaler Zusammengehörigkeit“, sagen Hölzer und Hemmer aus Erfahrung. „Das ist auch ein politischer Aspekt, schließlich nimmt man durch biodiverse Gärten, Randstreifen, Verkehrsinseln und so weiter seinen Lebensraum wieder für sich in Anspruch, statt sich einfach etwas vorschreiben zu lassen. Und es stärkt die Gemeinschaft. Wenn man etwa bei einem Pflanzwettbewerb vom Kegelverein bis zur Schulklasse gemeinsam den Spaten in die Hand nimmt, kommt man ins Gespräch über das, was man da tut, und merkt: Zusammen macht es mehr Spaß.“ Der Trend der jüngsten Vergangenheit gibt den beiden Bienenfreunden recht. An der großen „Deutschland-summt!“-Aktion im letzten Jahr nahmen bundesweit insgesamt 198 Gruppen teil, der Pflanztipp-Ratgeber wurde den Initiatoren 20.000 Mal aus den Händen gerissen. „Dass es so rasant aufwärts geht, hätten wir auch nicht gedacht“, sagt Corinna Hölzer, die gleichzeitig den Eindruck macht, es doch ein wenig geahnt zu haben. „Wenn man die Leute einmal am Haken hat, lechzen sie nach mehr Information, wie sie ihre Gärten bienenfreundlich gestalten können“, sagt sie und lächelt.

Seite 3 von 4