Deutschland summt!

März 2018 / Seite 2 von 4

Verzicht versus Wachstum

Das betrifft nicht nur Pflanzen und Tiere in Ökosystemen wie dem Amazonasgebiet, sondern ihre Artenvielfalt weltweit und eben auch in Deutschland. Von den ursprünglich hier heimischen 584 Wildbienenarten sind bereits 39 ausgestorben, von den restlichen sind 50% bedroht. Unter dem Schlagwort Bienensterben ist dabei ein komplexer Vorgang in den Fokus gerückt, der stellvertretend für eine Grundproblematik steht. „Wir haben sehr viele Defizite hierzulande, was die Umsetzung von Verboten bei Spritzmitteln in der Landwirtschaft angeht“, sagt Hemmer. „Denken wir nur an die Neonicotinoide oder das Glyphosat-Thema, das uns jetzt schon seit Jahrzehnten verfolgt. Wie wir in den Siebzigern beim Thema DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan, Anm. der Redaktion) gesehen haben, braucht es hier oft erst Tote oder zumindest Studien noch und nöcher, bevor man etwas dagegen tut. Das ist dramatisch. Zurzeit werden lediglich 10% der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Deutschland biologisch bewirtschaftet, was bedeutet, dass es für 90% – bildlich gesprochen – regelmäßige Spritzdosen gibt. Wir lassen es zu, dass wir unsere Äcker und Böden, und damit unsere Mikroorganismen und unsere Grundwässer, vergiften. Das wird uns am Ende natürlich wieder treffen. Die Wasserwerke beginnen seit Längerem Alarm zu schlagen, weil sie immer mehr Stoffe aus unserem Trinkwasser nicht herausfiltern können. Und das Ärgerliche ist, dass wir das auch noch über unseren EU-Haushalt subventionieren, denn die Landwirte bekommen Flächenprämien, egal ob die umweltverträglich anbauen oder nicht. Dieses Dilemma aufzulösen ist die Aufgabe der nächsten Jahre - für uns alle in der Republik.“

Hemmer redet ruhig und gelassen, doch man merkt ihm an, dass er hier über ein Thema referiert, das insgesamt eigentlich zu dringend ist, um sich in Kleinteiligkeit zu verlieren. Wenn man ihn fragt, warum angesichts klarer wissenschaftlicher Erkenntnisse das Umdenken und Handeln so schwierig zu sein scheint, hält er kurz inne. „Das ist eine spannende Frage, die man nicht in einem Satz beantworten kann“, sagt er dann. „Es hat damit zu tun, dass wir als Menschen nicht bereit sind, diese Herausforderung ernsthaft anzunehmen. Das würde nämlich eine dramatische Änderung unserer Lebensstile bedeuten, einen Einschnitt, einen Verzicht auf das allermeiste, was wir tun. Wir verbrauchen inzwischen so viele Ressourcen, dass dafür eigentlich ein zweiter Planet nötig wäre. Der Punkt, an dem die Weltressourcen für das laufende Jahr theoretisch aufgebraucht sind, kommt mittlerweile schon regelmäßig im Juli oder August, sodass man den Rest des Jahres auf Kosten der Umwelt, der Natur und der nachfolgenden Menschheit lebt. Das schließt den übermäßigen Verbrauch von Energie, Wärme und Trinkwasser ein. Unsere Flüsse mögen zwar sauberer als noch in den 70er Jahren sein, aber sie tragen immer noch eine große Chemiefracht, wenn man an das Eintragen von Pestiziden und Hormonstoffe aus den Oberflächengewässern denkt. Die Industrie und ihre Lobbyisten sind hier leider immer noch so stark in der Vertretung ihrer Interessen, dass es nicht gelingt, so einschneidende Änderungen einzuführen, wie sie eigentlich erzielt werden müssten.“

„Der Wohlstand kennt nur eine Richtung: Wachstum. Suffizienz oder Verzicht sind Vokabeln, die man da gar nicht benutzen darf.“ Cornelis Hemmer

Offenbar neigt der Mensch auch allgemein zu einer Vogel-Strauß-Taktik, wenn Forderungen, die sich aus diffizilen Tatsachenbeständen und globalen Verflechtungen ergeben, gegen die eigene Bequemlichkeit und den Verbraucheranspruch aufgewogen werden sollen. Naturschutz ist abstrakt, das Wiener Schnitzel auf dem Teller dagegen lecker konkret. Schwer denkbar, dass das alles wirklich miteinander zusammenhängen soll: der Konsum, die Landwirtschaft, die Bienen. „Die Leute stellen sich lieber vor, dass man sich irgendwie aus der Misere heraustechnologisieren kann, als dass man Bescheidenheit lernen muss“, warnt Hemmer. „Die gesamte Konsequenz wird ja auch in der öffentlichen Diskussion gar nicht mehr angesprochen, weil dann jeder in Schockstarre gerät. Ein Politiker, der solche Forderungen in den Mund nehmen würde, würde sofort von den eigenen Kollegen diskreditiert und wahrscheinlich keinen Stich mehr machen. Eine Formulierung wie ‚Wir müssen kürzertreten’ bedeutet eben immer Einbußen in der Prosperität. Der Wohlstand kennt aber nur eine Richtung: Wachstum. Suffizienz oder Verzicht sind Vokabeln, die man da gar nicht benutzen darf.“ Zu unsexy, wie Werber und Marketingstrategen vermutlich auf Neudeutsch sagen würden. Das semantische Äquivalent von Asseln, Spinnen und Fadenwürmern.

4 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung

„Das Bienensterben war in Deutschland zunächst einmal ein Imkersterben“, sagt Dr. Corinna Hölzer. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten viele Pfarrer und Landwirte Bienenstöcke, und die haben dann auch ihre Nachkommen zur Imkerei herangezogen. In der DDR hielt sich die Imkertradition noch länger als in der Bundesrepublik, doch seit man seinen Honig plötzlich einfach in Supermärkten kaufen kann, hat sie auch dort nachgelassen. Dazu kommt, dass Imker in der Regel recht einzelgängerisch sind. Selbst die Imkervereine zeichnen sich noch zu wenig durch ein gemeinsames Vereinsleben aus als etwa durch die Möglichkeit, sich gemeinsam versichern zu können oder gemeinsam Großbestellungen zu tätigen. Im Bereich der hobbymäßigen Honigbienenhaltung gibt es aus Imkerperspektive momentan trotzdem so etwas wie einen Hype. In den letzten zehn Jahren soll sich ihre Zahl bundesweit um etwa ein Drittel erhöht haben.“

Das ist in vielerlei Hinsicht eine gute Nachricht. Als Kämpfer gegen das sogenannte Bienensterben stehen die Imker mit ihrer Expertise, ihrem Einsatz und ihrem wachsenden Einfluss in der ersten Reihe des Widerstands. Als Schlagwort selbst schließt der Begriff „Bienensterben“ inhaltlich unter anderem auch zwei Schädlinge mit ein. Der eine ist die Amerikanische Faulbrut, Sporen, die von Bienen aufgegriffen und zurück in die Brut transportiert werden, der andere ist die Varroamilbe, ein Parasit, der aus Asien importiert wurde und seit den 70er Jahren heimische Honigbienen befallen hat. „Die von den Milben übertragenen aggressiven Viren, die die Honigbienen selbst bei bester Haltung schädigen und gegen die der Imker nur vorgehen kann, wenn er Ameisensäure verdampft oder andere neuere, bienenfreundliche Methoden nutzt“, erläutert Cornelis Hemmer. Seiner Meinung nach sind beide Krankheiten mit individuellen Gegenmaßnahmen ziemlich gut in den Griff zu bekommen, was jedoch nicht für die Schädigung durch Pestizide gilt. „Viele Pestizide wirken nicht selektiv, selbst wenn das von den Chemiekonzernen gelegentlich behauptet wird“, sagt er. „Die Applizierung mit Neonicotinoiden wirkt besonders dramatisch, weil das Nervengifte sind, die den Bienen die Orientierung nehmen. Honigbienen, die morgens aus ihrem Stock fliegen, finden abends nicht mehr den Weg zurück und werden dezimiert.“ Das gilt selbstverständlich nicht nur für die gestreiften Honigproduzenten. „Wir haben in den letzten 30 Jahren etwa 70% unserer Insekten in Deutschland verloren, und zwar als Individuen, also als Biomasse, als Lebendgewicht“, rechnet Hemmer vor. „Honigbienen als Nutztiere haben dabei den relativen Vorteil, dass sie aus dieser Gefahrensituation heraustransportiert und im Zweifel auch noch nachgezüchtet werden können. Das geht bei Wildbienen schon nicht mehr. Die kann man schließlich nicht einzeln einsammeln und mit ihnen woandershin gehen. Das Insektensterben ist also auch deshalb so dramatisch, weil es still und schleichend stattfindet.“

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